Das Dekameron
der Zeit, als schon die ganze Welt erfüllt war von dem hohen Ruhme der wunderbaren Weisheit Salomos und von dem Ruf, daß er diese Weisheit jedermann freigebig zeigte, der aus eigener Erfahrung Gewißheit darüber erlangen wollte, gar viele Menschen aus allen Weltgegenden zusammenströmten, um in dringenden und wichtigen Fällen seinen Rat zu erbitten.
Unter ändern nun, die aus solchem Grunde zu ihm wanderten, reiste auch ein junger Mann, der Melissus hieß und ein edler und sehr reicher Herr war, aus der Stadt Lajazzo, wo er gebürtig war und wohnte, dahin. Auf dem Wege nach Jerusalem, eben als er Antiochia verließ, traf es sich, daß er mit einem ändern Jüngling namens Joseph, der denselben Weg machte, eine Strecke weit zusammen ritt und, wie es unter Reisenden Sitte ist, mit ihm in ein Gespräch geriet.
Nachdem Melissus schon von Josephs Stand und Heimat erfahren hatte, fragte er ihn auch, wohin er ginge und in welcher Absicht. Joseph erwiderte ihm, er reise zu Salomo, um von ihm einen Rat zu erbitten, wie er sich gegen seine Frau verhalten solle, die mehr als irgendeine andere widerspenstig und bösartig sei und die er weder durch Bitten noch durch Schmeicheleien noch sonstwie von ihrer Halsstarrigkeit abzubringen vermöge. Dann fragte er ihn gleichermaßen, woher er wäre, wohin er reise und zu welchem Zweck, und Melissus antwortete ihm: »Ich bin aus Lajazzo, und so wie du deinen Kummer hast, so habe ich auch den meinigen. Ich bin ein reicher junger Mann und verwende das Meinige, um offene Tafel zu halten und meinen Mitbürgern Ehre zu erweisen. Dennoch, wie seltsam und wunderbar zu denken dies auch ist, kann ich bei alledem niemand finden, der mir wohlwill. Darum gehe ich auch dahin, wohin du gehst, um einen Rat zu erhalten, wie ich es machen soll, um geliebt zu werden.«
Nun reisten die beiden Gefährten zusammen weiter, gelangten endlich nach Jerusalem und wurden durch einen der Großen Salomos bei ihm eingeführt. Melissus trug ihm kurz sein Anliegen vor, und Salomo antwortete ihm: »Liebe!« Dann wurde Melissus sogleich hinausgeführt, und Joseph trug nun vor, weshalb er gekommen. Salomo antwortete ihm nur: »Geh zur Gänsebrücke.« Als er dies gesagt hatte, wurde Joseph gleichfalls ohne Säumen aus der Gegenwart des Königs entfernt, worauf er dem Melissus, der draußen wartete, erzählte, was er für eine Antwort bekommen hatte. Sie überlegten diese Worte zusammen, und da sie weder Sinn noch irgendeine Ausbeute für ihren Zweck darin zu entdecken vermochten, glaubten sie sich verhöhnt und machten sich zusammen auf den Heimweg.
Nachdem sie einige Tage gereist waren, gelangten sie an einen Fluß, über den eine schöne Brücke führte, und weil gerade eine große Karawane mit beladenen Maultieren und Saumrossen darüber hinzog, mußte sie so lange warten, bis diese hinüber waren. Als nun die Tiere schon fast alle über die Brücke gegangen waren, sahen sie noch ein Maultier, welches scheute, wie wir diese Tiere häufig tun sehen, und auf keine Weise vorwärts wollte. Deshalb griff denn der Treiber zu einem Stecken und fing an, das Tier zuerst ganz mäßig zu schlagen, damit es hinüberginge. Aber das Maultier sprang bald nach dieser, bald nach jener Seite des Weges in die Quere, ging bisweilen sogar rückwärts und wollte auf keine Art hinüber. Unmäßig erzürnt, fing der Treiber nun an, es mit dem Stock auf das unbarmherzigste bald auf den Kopf, bald auf die Seiten und bald auf den Rücken zu schlagen, doch all das half nichts.
Melissus und Joseph, die dies mit ansahen, riefen daher dem Treiber wiederholt zu: »Du Unmensch, was machst du? Willst du das Tier totschlagen? Warum bemühst du dich nicht, es sanft und leise vorwärts zu führen? Es folgte dir eher, als wenn du es so schlägst, wie du tust.« Doch der Treiber antwortete ihnen: »Ihr kennt eure Pferde, und ich kenne mein Maultier, darum laßt mich nur mit ihm machen.« Damit fing er von neuem an, es zu schlagen, und so viel Hiebe versetzte er ihm bald von der einen, bald von der ändern Seite, daß das Tier endlich vorwärts ging und der Maultiertreiber seinen Willen durchsetzte.
Als nun die beiden jungen Männer im Begriff standen, weiterzureisen, fragte Joseph einen guten Mann, der am Ende der Brücke saß, wie dieser Ort heiße. Der gute Mann antwortete ihm: »Herr, dies hier heißt die Gänsebrücke.« Als Joseph dies hörte, erinnerte er sich der Worte Salomos und sprach zu Melissus: »Nun sage ich dir, Geselle, daß der
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