Die Erste Liebe: Nach 19 Vergeblichen Versuchen Roman
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
[1] Am Morgen nachdem das anerkannte Wunderkind Colin Singleton seinen Highschool-Abschluss gemacht hatte und ihn zum neunzehnten Mal in seinem Leben ein Mädchen namens Katherine sitzen ließ, legte er sich in die Badewanne. Colin hatte schon immer lieber gebadet als geduscht. Einer seiner Grundsätze im Leben lautete: Tu nichts im Stehen, was du auch im Liegen erledigen kannst. Sobald das Wasser heiß aus dem Hahn kam, stieg er in die Wanne, dann saß er da und sah mit seltsam leerem Blick zu, wie das Wasser von ihm Besitz nahm. Langsam kroch es an seinen angewinkelten, gekreuzten Beinen hoch. Verschwommen nahm er wahr, dass er zu groß und zu lang für die Wanne war – er sah aus wie ein fast erwachsener Mensch, der Kind spielt.
Als das Wasser seinen mageren, sehnigen Bauch überspülte, musste er an Archimedes denken. Mit vier Jahren hatte Colin ein Buch über Archimedes, den griechischen Philosophen, gelesen, der in der Badewanne entdeckte, dass Volumen sich durch Wasserverdrängung messen ließ. Es heißt, dass Archimedes, als er die Entdeckung machte, splitternackt durch die Straßen rannte und »Heureka!« 1 rief. In dem Buch stand, dass viele wichtige Entdeckungen mit einem »Heureka-Erlebnis« einhergingen. Schon damals hatte Colin unbedingt einmal ein paar wichtige Entdeckungen machen wollen, und abends, als seine Mutter nach Hause kam, stellte er ihr diesbezüglich ein paar Fragen.
»Mami, kann ich auch ein Heureka-Erlebnis haben?«
»Schätzchen«, sagte sie und nahm seine Hand, »was fehlt dir denn?«
»Ich will ein Heureka-Erlebnis«, antwortete er im gleichen Ton, in dem andere Vierjährige um einen Plastik-Batman betteln.
Seine Mutter fühlte seine Stirn und lächelte ihn an, das Gesicht so nah, dass er ihren Lippenstift riechen konnte. »Aber ja, mein Schatz. Natürlich bekommst du eins.«
Doch Mütter lügen. Das gehört zu ihrem Job.
Colin holte tief Luft, dann ließ er sich am Wannenrand hinabgleiten und tauchte unter. Ich weine , dachte er, als er im schaumigen, beißenden Wasser die Augen öffnete. Ich habe das Gefühl, dass ich weine, also weine ich wahrscheinlich, doch ich kann es nicht wissen, weil ich unter Wasser bin . Aber Colin weinte nicht. Erstaunlicherweise war er zu deprimiert zum Weinen. Er war zu verletzt. Es fühlte sich an, als hätte Katherine ihm den Teil, der weinte, weggenommen.
Schließlich zog er den Stöpsel, stand auf, trocknete sich ab und kleidete sich an. Als er aus dem Bad kam, saßen seine Eltern zusammen auf seinem Bett. Es war nie ein gutes Zeichen, wenn seine Eltern gleichzeitig in seinem Zimmer waren. In den letzten Jahren hatte es Folgendes bedeutet:
1. Deine Großmutter/Dein Großvater/Deine Tante Suzie, die/ den du nie kennengelernt hast, die/der aber furchtbar lieb war, ist leider gestorben.
2. Du lässt wegen eines Mädchens namens Katherine die Schule schleifen.
3. Babys entstehen durch einen Akt, den du irgendwann vielleicht mal interessant findest, aber im Moment würdest du nur Albträume davon bekommen, und manchmal tun die Menschen etwas mit den dafür vorgesehenen Körperteilen, ohne dass ein Baby rauskommt, zum Beispiel küssen sie sich an Stellen, die nicht das Gesicht sind.
Es bedeutete nie:
4. Als du in der Badewanne warst, hat ein Mädchen namens Katherine angerufen. Es tut ihr leid. Sie liebt dich immer noch und hat einen schrecklichen Fehler gemacht und wartet unten auf dich.
Trotzdem konnte sich Colin der Hoffnung nicht erwehren, dass es Fall 4 war, weswegen seine Eltern zusammen auf seinem Bett saßen. Normalerweise war er Pessimist, doch bei Katherines machte er offenbar eine Ausnahme: Jedes Mal hegte er die Hoffnung, dass sie zu ihm zurückkämen. Plötzlich erinnerte er sich an das Gefühl, sie zu lieben und von ihr geliebt zu werden, und er schmeckte Adrenalin in seinem Mund – vielleicht war es doch nicht vorbei, vielleicht würde er bald wieder ihre Hand in seiner spüren und ihre laute, freche Stimme hören, die zu einem Flüstern schrumpfte, wenn sie ganz schnell und leise Ich liebe dich sagte, so wie sie es immer sagte. Sie sagte Ich liebe dich , als würde sie ihm ein Geheimnis anvertrauen, ein großes Geheimnis.
Colins Vater stand auf und kam auf ihn zu. »Katherine hat mich auf dem Handy angerufen«, sagte er. »Sie macht sich Sorgen um dich.« Colin spürte, wie sein Vater ihm die Hand auf
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