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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wäschestücke, Notverpflegung, ein Verbandskasten und ein Paar Ersatzschuhe. Der Koffer enthielt alles, was ein normaler Mensch auf Reisen mitnimmt, vor allem, wenn er sich darauf einrichten muß, Monate in der Einsamkeit zu bleiben. Da war das für einen Russen unvermeidliche Reiseschachbrett, ein paar linientreue Bücher, sogar eine Sammlung Schallplatten mit ernster Musik, in der Hoffnung, auch in Sibirien gebe es einen Plattenspieler, denn jeder Russe liebt Musik. Es war ein Koffer mit einem Ersatzanzug und zwei Mützen, Handschuhen und einem neuen Pyjama, blauweiß gestreift, alles so typisch für einen normalen Bürger, daß eine heimliche Kontrolle des Koffers eher Miterleben als Mißtrauen geweckt hätte.
    Für das, was jetzt vor Shukow lag, war dieser Koffer nicht mehr nötig. Der Weg nach Werchokrassnoje, zur Raketenbasis, bedurfte noch der vollkommenen Tarnung … er war nun abgebrochen worden, nachdem Ben Lauritz gestanden hatte, schon dagewesen zu sein. Er hatte es in die Mikrofone des sowjetischen Gerichtes gerufen, und Shukow hatte ihn verstanden. Der Weg zurück nach Irkutsk war jetzt die Rückkehr eines an Sibirien Gescheiterten. Auf den vorbereiteten amtlichen Papieren würde sich Shukow selbst bescheinigen, daß er aufgrund eines erst jetzt unter anderen klimatischen Verhältnissen festgestellten inneren Leidens – eines Emphysems – nicht mehr für Sibirien tauglich sei und zurückbeordert wurde in die Zentralverwaltung. Emphysem, das klang für jeden Milizionär, der die Papiere kontrollieren konnte, äußerst geheimnisvoll und schwerwiegend. Einen Genossen mit einem Emphysem soll man nicht aufhalten. Man weiß zwar nicht, was das ist und ob es sogar ansteckend ist, aber es muß etwas Besonderes sein, denn wer nicht tauglich ist für Sibirien, das jeden Menschen und jede Krankheit verkraften kann, muß ein bedauernswerter Genosse sein.
    Shukow ging über die feste Straße, bis er schemenhaft die ersten Häuser von Nowo Sosnowka sah. Der Regen klatschte auf ihn herunter, rann über die glatte Kunststoffplane, in die er die Wuginskaja gewickelt hatte, lief in den Ärmel, weil er die Tote auf seiner Schulter festhalten mußte und durchnäßte vom Arm aus seine ganze rechte Seite. Das Wasser lief an den Hosenbeinen wieder heraus oder schoß bei jedem Schritt als kleine Fontäne aus den Schuhen. Um den Fluß zu erreichen, mußte er durch das Dorf. Es gab nur diese eine Möglichkeit. Shukow blieb stehen und blickte auf die hinter der Regenwand wie zerfließenden Häuser. Unwahrscheinlich, dachte er, daß bei diesem Wetter und zu dieser Zeit jemand auf der Straße ist, aus dem Fenster guckt oder etwas anderes tut als schlafen. Und wenn er doch gesehen würde?
    Es gab einen Spruch von General Orwell, der überhaupt im Erfinden von guten Sprüchen unschlagbar war. Alle Teilnehmer des Lehrgangs in Alaskas russischer Geisterstadt hatten ihn sich gemerkt: »Wer in unserem Beruf mit Wenn und Aber arbeitet, sollte sofort aussteigen und Käse verkaufen. Nichts gegen Käse, ich esse ihn für mein Leben gern … aber Käse ist Käse, und euer Leben ist kein Camembertstückchen mehr wert, wenn ihr denkt: Wenn aber jetzt – Die Sekunde, in der ihr ›wenn‹ gedacht habt, fehlt euch nachher.«
    Shukow ging mit festen Schritten weiter. Er erreichte die ersten Häuser und schritt mitten auf der befestigten Straße hinunter zum Damm und zum Fluß. Er sah nicht nach links oder rechts … wer mich anrufen will, tut's auch, ohne daß ich ihn ansehe, dachte er. Von den Scheunen her, aus kleinen Holzhütten, kläfften ein paar Hunde und belebten das eintönige Rauschen des Regens. Ein Hund, neben einem Haus fast in der Dorfmitte, gebärdete sich wie toll, riß an seiner Kette und bellte mit einer so hellen Wut, daß Shukow sich wunderte, warum bei diesem Lärm niemand nach draußen kam, um nachzusehen, was den Hund so verrückt machte.
    Aber niemand kam. Der wochenlange Regen hatte die Gemüter abgestumpft, die Reaktionen aufgeweicht, den Alltag überschwemmt. Man saß herum und wartete auf den Frost, der die Sintflut mit einem Schlage verjagen würde. Dann wurde aus dem Regen Schnee, die Erde gefror, der verrückt gewordene Fluß vereiste. Und wenn dann noch die Stürme aus dem nördlichen Osten kamen, wußte man, daß der Winter alles gerettet hatte. Natürlich blieb die Katastrophe der Überschwemmung. Tausende von Quadratkilometern Taigawald staken in den dann vereisten Wassern. Die Eisdecke blieb, aber unter ihr

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