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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vermeiden.
    Nowo Sosnowka litt darunter nicht – das war der Vorteil, ein Straflager in der Nachbarschaft zu haben. Dort gab es für solche Notfälle ein eigenes Notstromaggregat, das mit Benzin betrieben wurde. Und Benzin hatte man genug im Magazin. So lange konnte es gar nicht regnen oder der normale Strom ausfallen, um hier in Bedrängnis zu kommen.
    Die Scheinwerfer leuchteten also weiter im Lager, in allen Baracken und Häusern gab es Licht, und auch die Telefonverbindungen innerhalb des Lagers funktionierten, da es Hausleitungen waren, die über eine große Batterie liefen. Nur die Staatsleitung, also die Verbindung nach draußen, war zerstört. Hier blieb der Funkverkehr die einzige Möglichkeit, sich mit der Außenwelt zu verständigen.
    Major Jankow nahm alles gelassen hin. Er sagte sogar einmal zu Shukow: »Ich kann nicht anrufen. Gut! Aber ich kann auch nicht angerufen werden. Noch besser! Das schönste Leben in Rußland ist ein unbeobachtetes Leben.«
    Jetzt nutzte Shukow die Hausleitung aus, um drüben im Lazarett anzurufen. Ben Lauritz' Nachricht hatte ihn mehr getroffen, als er sich selbst gestehen wollte. Nicht, daß er scharf darauf gewesen wäre, unbedingt Werchokrassnoje zu erreichen … der Weg dorthin war eine Straße durch sieben Höllen, das hatte er bereits am Anfang kennengelernt, und wenn man sich das sparen konnte, sollte man ein Halleluja singen. Aber die Art, wie man ihn zurückrief, dieser Verzweiflungsakt, Ben zu opfern, um Bob zu informieren, hatte etwas Panikartiges an sich. Es ließ Shukow keine Ruhe. Zum erstenmal durchbrach er eine der Grundweisheiten seines Berufes: Bleib unsichtbar. Bleib stumm! Melde dich nur, wenn es unbedingt nötig ist! Oder wie General Orwell es ausdrückte: »Wenn euch das Wasser bis zum Hals steht – ihr könnt ja noch atmen! Wenn euch das Wasser bis zum Mund steigt – stellt euch auf die Zehenspitzen. Erst, wenn ihr ersauft, gebt einen Laut!«
    Für Shukow hatte dieser Lehrsatz in der jetzigen Situation keine Gültigkeit mehr. Er brauchte Informationen. Wenn man Ben Lauritz den Sowjets zum Fraß hinwarf, war das Wasser – um mit Orwell zu denken – bis über die Augen gestiegen.
    Im Lazarett meldete sich Dr. Fedjunin am Telefon.
    »Ach, Sie sind es, Wassja Grigorjewitsch?« sagte er. »Ich dachte schon, der gute, alte liebe Gott riefe an, um uns zu gratulieren. Sie ahnen ja gar nicht, was hier los ist.«
    »Was macht Valja Johannowna?« fragte Shukow.
    »Sie spaltet gerade einen Furunkel von Faustgröße. Und im Gang stehen noch vierzehn Kranke und warten.«
    »Es kann also noch lange dauern?«
    »Bis Valja zu Ihnen kommt? Bestimmt noch zwei Stunden. Diese Frau wird einfach nicht müde! Verstehen Sie das? Ich bin vom Zusehen schon total erschöpft. Soll ich Valja etwas ausrichten?«
    »Nein.« Shukow atmete auf. Es gab nie mehr eine günstigere Gelegenheit als jetzt, mit Galina Theofilowna in Irkutsk im Hotel ›Sibir‹ die Verbindung herzustellen. »Ich werde etwas lesen und warten.«
    »Das geschieht Ihnen recht.« Dr. Fedjunin lachte meckernd. »Sie haben die ganze Sache angezettelt mit ihrer Sturheit. Ehrlich, ich bin froh, wenn der Regen aufhört oder der Frost kommt und Sie alle wieder aus Nowo Sosnowka verschwinden.«
    »Ich auch!« sagte Shukow aus voller Brust. »Ich auch!«
    Dann legte er auf, zog den Vorhang vors Fenster, holte seinen Packsack aus der Ecke und wickelte sein zu einem Sender umgebautes kleines Radio aus dem Plastikbeutel. Er zog die lange Antenne heraus, stellte auf der Zahlenscheibe die Frequenz von Galina Theofilownas Sender ein und drückte dann auf den Sendeknopf.
    Der vereinbarte Ruf, auf russisch, ging hinaus.
    ›TAUBE! TAUBE! TAUBE! TAUBE …‹
    Hebel herum. Im Lautsprecher knackte es, atmosphärische Störungen knatterten und rauschten, dazwischen zitterte das Zirpen anderer Kurzwellensender, die hart an den Bereichen der eingestellten Frequenz lagen. Galina Theofilowna aber schwieg. Um diese Zeit war sie längst auf ihrem Zimmer, der Kosmetikladen im Hotel ›Sibir‹ geschlossen. Auch sie mußte die Sendung mit Ben Lauritz gehört oder sogar im Fernsehen miterlebt haben, und es gab bestimmt einen Befehl von Orwell, mit Shukow Verbindung aufzunehmen.
    Hebel zurück. Die Sendetaste ›TAUBE! TAUBE! TAUBE!‹
    Umstellen auf Empfang. Shukow steckte das Kabel für den kleinen Knopfkopfhörer ins Gerät, um besser die Töne unterscheiden zu können. Um Bruchteile von Millimetern regulierte er die Einstellscheibe,

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