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Das Doppelspiel

Das Doppelspiel

Titel: Das Doppelspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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flossen die Fluten später ab, die Tjuganja wurde wieder ein normaler Fluß, und dann kam das gewaltige Schauspiel: die Eisdecke brach, sank zusammen bis auf den richtigen Waldboden, überall krachte es wie Kanonenschüsse, die mit Wasser vollgesogenen Stämme zerbarsten im Frost und rissen einfach auseinander mit einem Aufschrei, der im Ohr haften blieb.
    So wird es sein, aber noch regnet es, Genossen! Es trommelt auf die Dächer und gegen die Fenster. Streckt euch lang auf den warmen Ofen – der graue, rauschende Morgen kommt früh genug.
    Shukow ging weiter, in der Mitte der Straße, ab und zu mit einem Schulterruck das Gewicht der Wuginskaja verlagernd. So zierlich sie im Leben gewirkt hatte, so schwer wurde sie jetzt als Tote. Auch das ist ein Phänomen, dachte Shukow. Wenn sie sich früher lachend vor mir drehte, konnte ich sie mit beiden Händen um die Taille fassen und mühelos hochheben. Sie zappelte dann in der Luft und schrie hell: »Du Bär! Du starker Bär! Du Riesenbär!« Und er dachte daran, daß auch Dunja Andrejewna ihn einen Bären genannt und in seinen Armen gekeucht hatte: »Aber ich bin ein Tiger, und ein Tiger ist stärker als ein Bär!« Das waren dann die Augenblicke, in denen sie sich bei ihm festbiß, in die Oberarme, in die Schultern, in die Brustmuskeln, und seinen Körper übersäte mit den blutigen Abdrücken ihrer kleinen, spitzen Zähne.
    Shukow ging durch das schlafende Dorf, trat dem einzigen Lebewesen, das sich bei diesem Wetter ins Freie wagte, einem struppigen Hund, der ihn knurrend anfiel, gegen die Schnauze und ärgerte sich, daß der Kläffer laut heulend davonlief. Das muß einer hören, dachte er. Kein Hund heulte ohne Grund. Wenn aber in einem sibirischen Dorf ein Hund heult, hebt selbst der lahmste Urgroßvater seinen Kopf und bekommt einen harten Blick. Irgend jemand muß jetzt an das Fenster treten und mich sehen.
    Er wußte nicht, ob das geschah, jedenfalls rief ihn niemand an. Er erreichte den Damm, der die Schlucht absperrte, und ließ die Wuginskaja von seiner Schulter auf den felsigen Boden rutschen. Es gab einen dumpfen, klatschenden Laut, die Kunststoffplane platzte auseinander, und Valja Johannownas Kopf lag frei im Regen. Ihr wie schwarzes Metall glänzendes Haar verklebte das Gesicht, vor allem die Augen und die Nase. Nur ihr Mund war frei … ein wenig geöffnet und selbst im Tode noch von jenem erotischen Reiz, der früher von ihr ausging, wenn sie die Lippen leicht öffnete, blitzschnell die Zunge über Vorderzähne und Oberlippe schnellen ließ, um dann zu warten, ob diese schlangenhafte Lockung verstanden wurde.
    Shukow streifte die Schlinge, an der sein Reisesack hing, über den Kopf, ließ den Leinenbeutel neben der Wuginskaja auf den Felsengrund klatschen und beugte sich dann hinunter, um Valjas Gesicht wieder mit der Kunststoffplane zu bedecken. Er ging am Damm entlang zu dem Platz, auf den die Leute von Nowo Sosnowka ihre Boote getragen hatten, weg vom entfesselten Fluß, der bisher ihr Freund gewesen war und sie mit seinem Fischreichtum ernährt hatte, wenn die Gemüsegärten und die kleinen Felder mit dem wetterharten Roggen nicht genug Ernte brachten.
    Shukow suchte sich ein kleines, aber stabiles Boot aus, drehte es um, kroch darunter und stemmte es auf seinen nach vorn gebeugten Rücken. Wie eine Riesenschildkröte, die ihren schweren Panzer mühsam herumschleppt, trug Shukow das Boot bis zum Damm, an eine Stelle, wo er es in den wild dahinströmenden Fluß drücken konnte. Keuchend setzte er sich auf den Bootsrand, vom Regen betrommelt, erholte sich von der Anstrengung mit ein paar tiefen Atemzügen und kehrte dann zu der Wuginskaja zurück. Er trug sie zuerst ins Boot, dann holte er sein Gepäck, schob den ziemlich hochbordigen Kahn ins Wasser und sprang hinterher, bevor die rasende Strömung ihn erfaßte.
    In wenigen Sekunden riß ihn der Fluß vom Ufer, jagte ihn hinaus in die gurgelnde Wasserwüste, das Boot tanzte und begann sich zu drehen, und Shukow hatte alle Mühe, mit den Rudern zu verhindern, daß er in einen tödlichen Strudel geriet. Immerhin gelang es ihm, mehr in die Mitte des Flusses zu kommen, weg von dem felsigen Ufer. Es beanspruchte seine ganze Kraft, und als er endlich in einer zwar schnellen, aber nicht mehr strudelnden Strömung dahintrieb, zog er die Ruder ein, sackte mit dem Oberkörper nach vorn und gab sich ganz einer fast lähmenden Erschöpfung hin.
    Zeit und Raum verschmolzen. Wasser und Nachthimmel wurden eins,

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