Das Doppelspiel
sie in der Hand hielt, einfach weg und rannte davon. Ich habe noch nie soviel Sehnsucht und zusammengeballte Lust gesehen. Ich glaube, sie springt Shukow an wie ein Raubtier.«
»Und dieser Gedanke explodierte in Ihnen, nicht wahr? Sie sind ihr nachgerannt.«
»Blödsinn! Ich hatte ein offenes Bein auf dem Tisch liegen. Eine großflächige Phlegmone. Mit der quälte ich mich noch etwas herum. Valja Johannowna ließ mir das Bein einfach zurück, so wie ein satter Löwe den Rest der Beute den Geiern überläßt.«
»Das ist ein guter Vergleich, Dr. Fedjunin«, sagte Jankow dunkel. »Ich habe mich immer, wenn ich Sie ansah, gefragt: Verdammt, woran erinnert dich dieser Fedjunin? Sie haben es gesagt: An einen Geier! Das ist es!« Er lehnte sich zurück und faßte wie unbewußt an seine Pistolentasche, die er mit dem Koppel umgeschnallt hatte. Die Offiziere im Flur nickten Jankow stumm zu. Aber ihre Blicke waren ebenso hilflos wie die Augen Fedjunins, die Jankows Griff zur Pistole wohl bemerkten und verfolgten.
»Was … was soll das alles?« fragte Fedjunin heiser. »Wassili Michailowitsch, das hört sich ja an, als sei es ein Verhör –«
»Es ist ein Verhör! Haben Sie in der Nacht wieder obduziert und Leichenteile verbrannt?«
»Nein«, stammelte Fedjunin. Seine Augen hinter der Brille wurden riesengroß. »Sie sind verrückt, Genosse Major. Komplett verrückt! Ein Verhör! Worüber verhören Sie mich? Was … was geht hier vor?«
»Die Genossin Wuginskaja und der Genosse Shukow sind verschwunden. In meinem Lager! Spurlos! Und es ist sicher, daß sie das Lager nicht verlassen haben. Warum auch und wohin? Um sich aus lauter Liebe Hand in Hand in den Fluß zu stürzen? Bei diesem Regen?« Jankow lächelte bitter. Er starrte Fedjunin mit einem Ausdruck an, der keinen Zweifel darüber ließ, was er von ihm dachte. »Haben Sie nicht zu Leonid Lukanowitsch gesagt, man müßte die Wuginskaja umbringen?«
»Das ist ja Wahnsinn!« stotterte Dr. Fedjunin. »Wassili Michailowitsch, in was verrennen Sie sich da? Etwas Absurderes gibt es nicht!«
»Es steht fest, daß Valja Johannowna und Wassja Grigorjewitsch im Lager waren, als Sie noch im Lazarett arbeiteten.«
»Natürlich! Dieses Alibi habe ich! Drei Sanitäter und die Kranken sind meine Zeugen …« Fedjunin sog die Luft pfeifend durch seine Zähne. Ein leichtes Zittern bemächtigte sich seines Körpers. Jankow beobachtete es mit Wohlgefallen. Für ihn war es eine Art unterdrücktes Schuldbekenntnis. Ein Mensch, der nichts zu verbergen hat, zittert nicht.
»Und wann schlossen Sie das Lazarett?«
»Immer Ihre Zeitangaben! Ich arbeite nicht mit der Uhr um den Hals«, schrie Fedjunin. »Nachdem ich die Phlegmone versorgt hatte, bin ich noch einmal zu den drei anderen Frischoperierten gegangen, habe mich überzeugt, daß es ihnen gut geht, und bin dann auf mein Zimmer.«
»Wie in einer Universitätsklinik!« sagte Jankow gehässig. »Eine Sondervisite in der Nacht für die Problemfälle. Dr. Fedjunin, Sie haben eine erstaunliche Wandlung durchgemacht. Vom Lagerarzt, der nach der Statistik die wenigsten Kranken hatte, zum Albert Schweitzer von Sibirien. Und nur, weil Ihnen der Anblick der Wuginskaja wie ein Blitz in die Hose gefahren ist! Aber plötzlich ist sie weg, samt ihrem legalen Liebhaber. Ist das nicht merkwürdig?«
»Ich würde suchen«, sagte Dr. Fedjunin mit zusammengepreßter Kehle. »Es muß ein Unglück passiert sein.«
»Gesucht wird bereits. Und ein Unglück? In der Kommandantur? Mitten in einer ganz friedlichen Nacht? Lebten wir nicht auf einer Felseninsel inmitten einer Wasserwüste, würde ich sagen: Na ja, sie haben einen Mondscheinspaziergang gemacht. Auch in Sibirien kann man ein Romantiker sein. Aber bei diesem Regen? Dr. Fedjunin, Sie allein haben eine perfekte Methode entwickelt, Menschen spurlos verschwinden zu lassen! Zerschnitten zu handlichen Paketen, wäre es Ihnen leicht, Nebenbuhler und unerreichbare Geliebte –«
»Sprechen Sie nicht weiter!« schrie Fedjunin. Er stützte sich mit beiden Fäusten auf Jankows Schreibtisch, und sein bleicher Geierkopf pendelte hin und her. »Ich protestiere gegen diese Art, mit mir zu sprechen!«
Major Jankow erhob sich. Vom Flur kamen die beiden Offiziere herein und stellten sich rechts und links von Dr. Fedjunin auf. Der Arzt zuckte zusammen wie unter einem gewaltigen Schlag und starrte mit offenem Mund um sich. Er war nie eine Schönheit gewesen, aber jetzt sah er wirklich häßlich
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