Das Dorf der Katzen
würde kein Choriogatos mehr geben.
Sie mussten fort von hier, und zwar baldmöglichst. Es war schon mitten am Nachmittag. Wer weiß, wie viel Zeit sie noch hatten!
ΦΦ ΦΦ
Letztmalig manifestierte sich eine Frage im Raum.
Sie wurde nicht gesprochen und war doch da.
Sie wurde nicht gehört und doch beantwortet.
Denn letztmalig stellte sich die Antwort neben die Frage.
„Schwester, die Zeit ist gekommen, vernimmst du es?“
„Ja, Schwester. Der letzte Diener
deines falschen Dieners ist vergangen.
Die wahre Prophezeiung erfüllt sich nach höherer Ordnung!“
„So müssen wir den Weg beenden und in unserem Vater
ineinander vergehen. Ich bin bereit!“
„So bin ich es!“
Dann waren da zwei Töne im stummen Raum, die sich wie triumphierend zu einem Einklang verbanden und aus dem Einklang kam der Abschied zum Ende, das der Anfang war:
„Die Vereinigung erfolgt. Sanftmut löscht den Zorn
und der Zorn erregt die Sanftmut!
Die Einigkeit ist nunmehr ausgeglichen
und die Prophezeiung erfüllt!“
Dann schwieg der Raum für immer und die Stille herrschte über die Zeit.
ΦΦ ΦΦ
Die Überlebenden hatten sich nach und nach auf der Plateia oder vielmehr der ehemaligen Plateia dessen versammelt, was einmal Choriogatos gewesen war.
Ioannis, der auf einem Schutthaufen stand, blickte von dieser erhöhten Warte auf die unter ihm Versammelten. Erneut krampfte sich sein Magen zusammen, als er den kläglichen Haufen erschöpfter Menschen sah, die die letzten Stunden überlebt hatten. Etwas abseits hatten sich die Abbilder um Gizmo herum geschart. Als legitimer Nachfolger des gefallenen o Gerontas war jetzt Gizmo das Oberhaupt der Abbilder von Choriogatos, auch wenn er im Moment mit seinem getackerten Ohr, der bandagierten Pfote und dem teilweise rasierten und geschienten Schwanz keinen sehr repräsentativen Eindruck machte. Sein halbseitig geschwollenes Gesicht, das sich durch die Hämatome zu einem schiefen Grinsen verzogen hatte, passte ebenfalls nicht zu seinem neuen Status, aber er versuchte, diese Defizite durch eine möglichst aufrechte und würdevolle Haltung zu kompensieren. Man sah ihm die Schmerzen, die er litt, nicht an.
Ioannis räusperte sich, aber seine Stimme klang dennoch belegt und matt.
„Freunde“, sagte er, „ich will nicht lange reden. Was wir heute erlebt haben, dürfte die Vorstellungskraft eines jeden von uns gesprengt haben. Es ist gelungen, die Kreaturen zurückzuschlagen, zu vernichten. Damit haben wir unseren Teil der Prophezeiung erfüllt. Ihr wisst, was jetzt kommt, kommen muss. Wir werden diesen Ort, diese Insel schon bald verlassen müssen, denn der letzte Diener des falschen Dieners, der letzte Ch’quar des Hohenpriesters, der seine Göttin verraten hat, wurde von uns beseitigt. Er und seine Gefährten existieren nicht mehr. Die Geschehnisse werden der Prophezeiung weiterhin unerbittlich folgen und daher wird unsere Heimat, wird Phelisonissi genauso unerbittlich vernichtet werden. Uns wird vermutlich nicht mehr viel Zeit bleiben. Versucht daher, alles, was von Wert ist und noch geborgen werden kann, aus euren Häusern zu holen. Bringt es zum Strand. So grausam es klingt, aber wir müssen uns jetzt zuerst um uns kümmern, dann werden wir vielleicht noch Zeit finden, um die Toten zu bergen. Beeilt euch!“
Ein dunkles Grollen wie von einem weit entfernten Gewitter durchzog die Insel unter den Füßen der Überlebenden. Der Boden zitterte leicht. Putz und lockere Steine der beschädigten oder zerstörten Häuser fielen zu Boden.
Was war das?
Eine neue oder letzte Teufelei des Angreifers? Hörte denn das nie auf?
Das Grollen wiederholte sich, jetzt stärker. Aus dem Zittern des Bodens wurden erst leichte, dann härtere Stöße.
Entsetzte Schreie waren zu vernehmen, Kinder begannen wieder zu weinen. Dazwischen lautstarke Flüche und Verwünschungen der Männer.
Ein peitschendes Geräusch, laut wie ein Überschallknall, hallte über die Insel. Dann ein Ton, der tief aus dem Inneren der Erde kam. So, als ob gigantische Stoffbahnen zerreißen würden. Die Erde geriet in leichte Wellenbewegungen, die Menschen taumelten plötzlich, suchten Halt aneinander und an Gegenständen.
Ioannis erstarrte.
Es ging jetzt schon los!
Jetzt schon, so kurz nach der Vernichtung des letzten Ch’quar.
Man ließ ihnen keine Chance, die Rettung konnte noch nicht da sein!
War das der Dank dafür, dass sie unter Opferung so vieler
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