Das Dorf der Katzen
tun. Bitterkeit stieg jetzt auch in ihr auf. Sie mussten sich selber helfen!
Das war für geraume Zeit ihr letzter klarer Gedanke. Der letzte Rest der Aufputschdroge war verbraucht.
Vera wurde bewusstlos.
Dankbar registrierte Ioannis, dass das schmerzhafte Getrommel von Veras Fäusten gegen seine Nieren aufgehört hatte.
„Sie ist vernünftig geworden“, dachte er sich. Er hielt kurz an, um Vera von seiner Schulter gleiten zu lassen und sie hinzustellen. Sie sackte zusammen wie eine Marionette mit durchgeschnittenen Fäden. Rasch fing Ioannis sie wieder auf.
Schlaff hing sie in seinen Armen. Er sah in ihr blasses, eingefallenes Gesicht. Es war überzogen von einer Schicht, einer Kruste aus Dreck, Blut und Staub. Durchzogen von Schweiß- und Tränenbahnen. Ihre Haare waren verklebt und standen wirr nach allen Seiten. Zärtlich blickte Ioannis sie an.
Nie war sie ihm schöner vorgekommen.
„Kali mou“, murmelte er leise, dann schulterte er ihren schlaffen Körper wieder und eilte den anderen hinterher, die den Strand schon fast erreicht hatten.
Hinter ihnen ging Choriogatos endgültig unter.
Dunkler Rauch, fett und ätzend zog über die Insel, die sich unter ihren Füßen wand und bebte wie ein riesiges angeschossenes Tier. Die Luft war erfüllt von Geräuschen des Untergangs, von Dröhnen und Grollen, Poltern und Kreischen.
Der Blumenkohl aus Rauch und Asche, der die ganze Zeit über Illasandria gestanden hatte, begann sich aufzulösen. An seine Stelle trat ein Geysir aus Glut und Feuer.
Die Erde war aufgebrochen und spie Lava aus ihrem Inneren.
Phelisonissi wurde von Poseidon in sein Reich geholt, wozu er sich der Hilfe von Hephaistos bediente. Wasser und Feuer verschlangen die Insel.
Und das Häuflein Überlebender am Strand von Choriogatos konnte dabei nur hilflos zusehen und warten.
Warten auf die Entscheidung darüber, wer das Rennen gewinnen würde, ihre Rettung oder ihr Untergang.
ΦΦ ΦΦ
N’gahar ging im Cheram-dir ruhelos auf und ab. Der von ihm befohlene Angriff auf das verdammte Dorf musste doch schon längst vorüber sein, so lange konnte das nicht gedauert haben. Warum meldete sich Terged nicht über das Khal’a’tar?
„TERTHARAN-MUN!“
N’gahar zuckte zusammen wie unter einem Peitschenhieb. Sachmet rief ihn, rief ihn mit seinem wahren Namen!
„TERTHARAN-MUN!“
Wieder hallte der Ruf Sachmets durch N’gahars Kopf.
„Was willst du?“, fragte er ärgerlich zurück.
„KOMM ZU MIR!“
N’gahar runzelte die Stirn. Was wollte Sachmet von ihm? Das letzte Mal, als sie ihn mit seinem richtigen Namen gerufen hatte, geschah dies, um ihm mitzuteilen, dass er die relative Unsterblichkeit erhalten solle. Was wollte sie ihm jetzt sagen? Dass die Wiedervereinigung mit ihrer Schwester nicht stattfinden konnte, weil Schwesterchen verhindert war oder etwa gar nicht mehr existierte?
Ein böses Grinsen verzog seinen schmalen Mund.
Das musste es sein! Er durfte sich jetzt seinen größten Triumph von einer Göttin verkünden lassen, der gar nichts anderes übrig blieb, die fortan zur Bedeutungslosigkeit verdammt war und deren Kräfte er beliebig nutzen konnte.
Er warf einen verächtlichen Blick auf die acht Liegen seiner Priester.
Er würde noch eine Möglichkeit finden müssen, die verbleibenden Sieben dieser jetzt nutzlosen Idioten loszuwerden.
Geradezu beschwingt verließ er den Cheram-dir und eilte zu der großen Halle mit Sachmets Statue. Er stand vor dem Ziel seines Lebenswerks!
In dem Saal wartete Sachmets Statue auf ihren Priester.
N’gahar trat in einer arroganten und provozierenden Körperhaltung, die genau seiner Geisteshaltung entsprach, in den Statuensaal. Er war jetzt hier der uneingeschränkte Herr!
Der Boden unter ihm zitterte leicht. N’gahar stutzte. Spielten ihm seine Nerven einen Streich? Ausgerechnet jetzt? Er wischte sich mit einer Hand über das Gesicht. Ein Erdbeben? Er konnte sich nicht erinnern, dass es hier in dieser Gegend so etwas schon gegeben hatte. Es mussten seine Nerven sein, er befand sich schließlich in höchster Erregung, war geradezu euphorisch.
„Reiß dich zusammen“, dachte er. Trotzig warf er den Kopf in den Nacken und blickte zu der Statue auf. Der Löwenkopf mit der Scheibe, um die sich die Uräusschlange wand, blickte unverändert geradeaus ins Nichts.
Das passte, fand er. Ein wie geistesabwesend wirkender Blick ins Nichts von jemandem, dessen Macht nunmehr ein Nichts war. Der Gedanke erheiterte ihn
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