Das Dorf der verschwundenen Kinder
zum Henker haben Sie denn da?« erkundigte sich Maggie Burroughs.
Sie stand im Schatten des Infowagens auf dem Ligg Common und trank eine Tasse Tee.
Wie als Antwort auf diese Frage ertönte ein scharfes Bellen aus dem Korb, den der Sergeant auf dem Soziussitz festgeschnallt hatte.
»Das ist Tig, Ma’am«, sagte er. »Lorraines Hund. Der Tierarzt meint, er sei wieder so gesund, daß er nach Hause kann.«
»Sie denken, die Dacres wollen ihn wiederhaben?« fragte Burroughs zweifelnd. »Und immer, wenn sie ihn ansehen …«
»Tja«, meinte Wield. »Man kann nie wissen, was in den Menschen vorgeht.«
»Na, es gibt ja immer noch das Tierheim«, sagte Burroughs gleichgültig. Offenbar war sie kein besonderer Tierfreund. »Und warum haben Sie ihn hergebracht?«
»Ich dachte, es könnte sich vielleicht lohnen, einmal mit ihm den Berg raufzugehen.«
Sie sah ihn skeptisch an und sagte: »Das wäre vor zwei Tagen vielleicht eine gute Idee gewesen, aber ich verstehe nicht, worauf Sie jetzt noch hoffen, wo ein Haufen Männer, Hunde und Infrarotkameras nichts Interessanteres gefunden haben als ein totes Schaf. Sie wissen, daß die Suche abgeblasen wurde, oder? Der Superintendent läßt ein Team Froschmänner im Stausee tauchen. Das ist sicher einen Blick wert. Aber hier sind wir fertig. Der Wagen bleibt noch ein paar Tage stehen, um guten Willen zu zeigen und vielleicht bei jemandem die Erinnerung aufzufrischen. Aber das war’s schon.«
Denkt sie etwa, ich brauche ihre Erlaubnis? überlegte Wield. Technisch gesehen, hatte sie die Leitung der Suche, das stimmte. Aber jetzt gab es keine Suche mehr, die sie hätte leiten können.
»Sie meinen also, ich sollte mir die Mühe sparen?« fragte er herausfordernd.
Maggie Burroughs nahm einen großen Schluck Tee und lächelte ihn an.
»Es ist nicht meine Aufgabe, einem Chief Inspector zu sagen, wie er seine Zeit verbringt«, erwiderte sie. »Nein, Sergeant, machen Sie ruhig Ihren Spaziergang. Aber tun Sie mir einen Gefallen und schreiben Sie einen Bericht darüber. Das wird den Suchbericht abrunden. Zeigen, daß wir alles versucht haben.«
Daß du alles versucht hast, dachte Wield, der keinen Zweifel an oder Probleme mit Maggie Burroughs’ Ehrgeiz hatte.
Er sagte: »Danke, Ma’am«, drehte den Motor auf und ließ seine Maschine den staubigen Uferpfad des Beck hinunterrumpeln.
Burroughs sah ihm nach. In ihren Augen war ein Schwuler mittleren Alters auf einem Motorrad durchaus nicht das Bild des modernen Polizeibeamten. Aber er war mit Dalziel befreundet, und sie konnte sich ausrechnen, daß ein Streit mit einem Freund des Dicken für die Karriere nicht unbedingt förderlich war.
Wield fuhr so schnell er konnte, bis der Weg zu steil und steinig wurde. Er war beinahe an der Stelle angelangt, an der Tony Dacre am Sonntag den Hund aufgelesen hatte, und wenn man davon ausging, daß das verängstigte und verletzte Tier nach Hause wollte, mußte der Angriff weiter oben stattgefunden haben.
»Na gut, mein Junge. Bei Fuß.«
Zunächst legte er Tig noch an die Leine, da er Angst hatte, er könnte einfach weglaufen. Doch als der Hund nichts weiter tat, als den vertrauten Weg neben ihm herzutrotten, hin und wieder sein Bein zu heben und einen Vogel oder Schmetterling anzubellen, ließ er ihn frei laufen.
Sie waren jetzt weit oben am Berg, wo das Tal deutlich schmaler wurde. Im Westen erhob sich der steile Hang des Neb, während er im Osten etwas gemächlicher zur Straße zwischen Danby und dem Highcross Moor anstieg. Hier verlief der Ligg Beck durch eine steilwandige Schlucht, tief genug für einen halsbrecherischen Sturz.
Wield legte eine kurze Verschnaufpause ein. Er hatte eine Flasche Wasser eingepackt, und nach einem kräftigen Schluck goß er etwas in seine Handfläche und ließ den Hund trinken.
Vielleicht hatte Burroughs recht, dachte er, und dies war Zeitverschwendung. Allerdings beharrte sein methodischer Geist darauf, daß man unwahrscheinlichen Theorien nachgehen mußte, ehe man sie ad acta legte.
Er hatte auch einen Feldstecher eingepackt, den er nun an die Augen hob und langsam das Tal damit absuchte. Nirgends ein Lebenszeichen, abgesehen von dem einen oder anderen Schaf. Im Stehen konnte er die Dächer von Danby erkennen. Weiter unten war die Moorstraße zu sehen, und direkt über sich konnte er die Rückseite eines Metallschilds erblicken, das vermutlich die »Kein Abfall«-Warnung des Aussichtspunkts war, in den die junge Novello so viel Hoffnung
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