Das Dorf der verschwundenen Kinder
die vergangenen Tage und sagte leise: »Ja, ich glaube, das kann ich. Ich werde jetzt gehen, damit Sie sich in Ruhe auf das Konzert vorbereiten können. Ist schon gut, ich finde allein hinaus.«
Sie blieb mit starrem Blick auf den Garten sitzen. Was sie dort sah, wußte er nicht, doch er vermutete, daß es mehr war als Gras und Blumen.
Als er den Flur entlangging, öffnete sich die Tür des Arbeitszimmers, und Arne trat heraus.
Er hielt einen verschlossenen DIN -A4-Umschlag in der Hand.
»Sie gehen schon so früh, Mr. Pascoe?«
»Ja.«
»Na ja, vielleicht nicht so früh, wie man meint.«
Der Schlaumeier hatte doch darüber nachgedacht.
Pascoe sagte: »Ich wurde so erzogen, daß Unterbrechen unhöflich ist.«
»Was Ihnen in Ihrem Beruf manchmal sicher ganz nützlich ist. Haben Sie etwas von dem Gespräch zwischen mir und Mrs. Wulfstan gehört?«
»Ja, etwas«, antwortete Pascoe, der es für unnötig hielt zu lügen.
Arne Krog nickte, doch in der Geste lag ebensoviel Unsicherheit wie Bestätigung. Er stand kurz davor, etwas zu tun, zögerte aber noch vor dem letzten Schritt.
»Dann werden Sie zum Teil verstehen, warum ich Ihnen das hier gebe, und vielleicht fälschlicherweise annehmen, daß es der einzige Grund ist. Aber bitte glauben Sie auch an den anderen, wichtigeren Grund, der mit Gerechtigkeit zu tun hat.« Er setzte sein charmantes Lächeln auf, das ihn zehn Jahre jünger erscheinen ließ. »Wie bei Ihrem Lauschen kann auch eine Tugend manchmal ganz nützlich sein.«
Er überreichte Pascoe den Umschlag, verbeugte sich steif und ging die Treppe hinauf.
Pascoe öffnete die Haustür. Inger Sandel kam die Stufen hoch.
»Sie gehen gerade?« meinte sie. »Da müssen Sie sich aber gut unterhalten haben.«
Sie starrte auf den Umschlag.
»Ja. Ich hoffe, Sie haben ein gutes Konzert.«
»Kommen Sie?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
Fünf Minuten später jedoch, als er mit dem Inhalt des Umschlags auf den Knien in seinem Wagen saß, änderte er seinen Entschluß.
Er rief das Krankenhaus an und bekam schließlich Ellie an den Apparat.
»Wie geht es ihr?«
»Schläft tief und fest. Kommst du her?«
»Nicht sofort.«
Er erklärte. Es bedurfte einer langen Erklärung, aber schließlich ließ ihre Mißbilligung nach, und sie sagte: »Na gut, Äneas, fahr hin und tu, was du zu tun hast.«
»Äneas?«
»Ein kleiner Scherz. Ich liebe dich.«
»Ich liebe dich auch. Ich liebe euch beide. Mehr als all das hier.«
»Weshalb du es unbedingt tun mußt, ja, ja. Pete, erinnerst du dich an eine unserer hitzigen Diskussionen am Anfang, als du mir vorgeworfen hast, meine Familie zu vernachlässigen, um die linke Revolutionärin zu markieren?«
»Habe ich das gesagt? Klingt eher nach dem Dicken an einem guten Tag.«
»Das war es auch, was mich am meisten beunruhigt hatte. Aber jetzt will ich dir nur sagen, daß es gut war, daß ich keine Revolutionärin geworden bin. Wäre sicher nicht so lustig gewesen. Paß auf dich auf. Und wenn du dich umsiehst und ein Licht am Himmel entdeckst, wundere dich nicht. Das bin nur ich.«
Pascoe beendete das Gespräch. Er lächelte. Durch sein geöffnetes Schiebedach sagte er zum chinablauen Himmel: »Ich bin wahrscheinlich der glücklichste Mann der Welt.«
Dann machte er sich auf nach Norden.
Sechzehn
M it großer Befriedigung beobachtete Andy Dalziel aus einem Fenster im oberen Stock die Ankunft von Shirley Novellos Konvoi an der Polizeistation von Danby.
»So was mag ich, Wieldy«, sagte er. »’n bißchen Protz. Wie das Einrollen der Alliierten ’44 in Paris. Wir sollten Blumen werfen. Sie haben nicht zufällig ’ne vereinzelte Mohnblume oder Lilie in der Tasche, hm?«
Wield, der einfach nur erleichtert war, daß Novello nicht mit Blinklicht und Sirene anrückte, sagte: »Wie wollen Sie vorgehen, Sir?«
»Warten wir erst mal ab, ob sie Anwälte wollen«, erwiderte Dalziel.
»Ein Pflichtverteidiger hält sich für den Notfall bereit. Und ich wette, Turnbull wird wieder nach Hoddle schreien.«
»Dieser Nervensäge. Obwohl es fast ein Vergnügen sein wird, ihn wiederzusehen. Ich bezweifle, daß er Turnbull dieses Mal raushauen kann.«
Wield runzelte ob dieser Selbstsicherheit abergläubisch die Stirn. Er hatte das Gefühl, daß sie noch einen langen Weg vor sich hatten, um aus dem Dickicht zu gelangen.
Die australische Polizei hatte bislang noch nichts Brauchbares über die Familie Slater geschickt. Der Mythos, daß die moderne Technologie das Verschwinden
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