Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
Vom Netzwerk:
sich in seinem Lieblingspub den Allerwertesten vollaufen lassen, ohne auf die mürrisch-nüchterne Ehefrau angewiesen zu sein, um nach Hause zu kommen.
    Wenn er also Gelegenheit hatte, durch das Glockenviertel zu spazieren, wurde Pascoe in Gedanken zum Ölscheich, der sich das eine oder andere Haus anerkennend auswählte und bei diesein oder jenem abschätzend abwinkte.
    Heute jedoch, als er das Haus der Wulfstans aufsuchte, verspürte er dazu nicht die geringste Lust, obwohl die Holyclerk Street sich im goldenen Licht der frühen Abendsonne von ihrer besten Seite zeigte.
    Ellie hatte ihm gesagt, sie wisse sehr wohl, daß es die Seele verderbe, Polizist zu sein, aber wenn man an die tragische Geschichte der Wulfstans dachte und dann an die Tatsache, daß die eigene Tochter sich gerade von einer sehr schweren Krankheit erholte, brach er hinsichtlich Rücksichtslosigkeit, Absurdität und Unverantwortlichkeit alle Rekorde …
    »Hör zu«, hatte er gesagt. »Ich tue das, weil Rosie …«
    »Weil ein übererregtes müdes Kind dachte, es hätte irgend etwas gesehen? Weil sie so ein blödes Bilderbuch hat?« warf sie dazwischen. »Na, dann weiß ich ja genau Bescheid!«
    »Nein«, gab er ebenso scharf zurück. »Weil wir sie beinahe verloren hätten. Weil ich sie in meinem Kopf bereits verloren hatte und jetzt begreifen kann, was ich oft gesehen, aber nie selbst erlebt habe – nämlich, daß all diese armen Menschen, die ein Kind verloren haben, herumrennen wie kopflose Hühner und Protestvereine ins Leben rufen und Petitionen herausgeben und Gott weiß was alles. Der Grund ist, daß man es verstehen will, und dazu muß man mit Gründen und Ursachen und Verantwortung jonglieren und alles über das Warum und Wozu und das Wann und Wo und Wer herausfinden, o ja, vor allem über letzteres. Sieh mal, du willst herausfinden, was du für Jill tun kannst, und wenn du glaubst, es herausgefunden zu haben, wird dich nichts davon abhalten, es zu tun. Tja, so empfinde ich Mr. und Mrs. Dacre gegenüber. Alles zu wissen ist das einzige, was ihnen bleibt; ich rede jetzt nicht von Gerechtigkeit oder Rache, einfach nur vom Bescheid-Wissen. Kann sein, daß ich mich irre, aber ich schulde es ihnen, ich schulde es Gott oder dem Schicksal oder was immer uns Rosie zurückgegeben hat, daß ich es herausfinde.«
    Ellie hatte ihren Mann noch nie so gesehen oder gehört, und zum erstenmal in ihrem gemeinsamen Leben ließ sie sich von seinen aufgebrachten Worten zum Schweigen bringen.
    Alles, was sie sagte, als er das Krankenhaus verließ, in dem Rosie in einen tiefen, friedlichen Schlaf gefallen war, war: »Brr, nur ruhig, mein Schatz.« Dann küßte sie ihn.
    Er war nicht gerade triumphierend losgezogen, aber mit einem glühenden Gefühl der Rechtschaffenheit, das aus dem Sieg in einer hitzigen Moraldebatte entbrennt.
    Doch nun, als er vor der Tür von Hausnummer 41 stand, kam es ihm plötzlich – und nicht zum erstenmal – so vor, als habe Ellie, die zwar nicht in jeder Hinsicht recht hatte, immerhin recht genug, um den Sieg nach Punkten errungen zu haben.
    Es war verrückt. Nun ja, angesichts der notwendigen Ermittlungen im Falle eines toten Mädchens war es nicht ganz und gar verrückt, aber die Art und Weise es anzugehen, war wohl ziemlich daneben.
    Er trat einen Schritt zurück und hätte wieder fortgehen können oder auch nicht, er würde es nie erfahren, denn in diesem Moment öffnete sich die Tür, und er stand Inger Sandel gegenüber.
    Sie waren sich noch nie begegnet, aber er erkannte sie aufgrund des Fotos in der »Post«, die er noch immer in seiner Aktentasche hatte.
    Sie fragte: »Ja, bitte?«
    »Hallo. Ich bin Detective Chief Inspector Pascoe.«
    »Mr. Wulfstan ist mit Elizabeth bereits nach Danby gefahren, aber Chloe ist noch hier, falls Sie mit ihr sprechen wollen.«
    »Warum nicht?« erwiderte er, obwohl ihm schon Gründe einfielen.
    Er trat in die Eingangshalle. Auf dem Fußboden standen mehrere Kartons mit CD s.
    »Wir armen Troubadoure müssen auch unsere eigenen Händler sein«, sagte sie, als sie seinen Blick bemerkte. »Die sollen auf dem Konzert verkauft werden.«
    »Ach ja?« Er nahm eine CD mit den »Kindertotenliedern« in die Hand. »Interessantes Cover. Die Noten da oben sind von Mahler, nehme ich an.«
    »Ja, aber nicht von den Liedern. Ich glaube, sie sind aus der zweiten Symphonie.« Sie hielt inne, als erwarte sie eine Antwort, und fuhr dann fort: »Möchten Sie eine kaufen?«
    »Nein, danke«, murmelte

Weitere Kostenlose Bücher