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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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riß er aus und lief zu seiner Großmutter. Marion kam, um ihn zu suchen. Er weigerte sich rundheraus, mit ihr zu gehen, und die alte Mrs. Lightfoot meinte, er könne ja bei ihr bleiben. Und so geschah es. Ich könnte mir denken, daß eine Menge Dinge gesagt wurden, die lieber ungesagt geblieben wären. Das Resultat war schließlich, daß die Familie abreiste und Benny ins Neb Cottage einzog. Soweit ich weiß, ist er sofort von der Schule gegangen. Ein paarmal kam jemand wegen Schulschwänzerei, auch das Jugendamt, aber sobald er jemanden von der Behörde auch nur von weitem sichtete – eigentlich bei jedem, den er nicht kannte –, rannte Benny den Neb hinauf, und letztendlich haben sie mehr oder weniger aufgegeben, obwohl ich sicher bin, daß sie sich irgendeine glaubwürdige Erklärung der Situation einfallen ließen, um das Gesicht zu wahren.«
    »Wie erklärt man Schuleschwänzen?« wollte Pascoe wissen.
    »Gar nicht. Das macht dann die Zeit«, antwortete Mrs. Shimmings. »Ich glaube, in der Schulbehörde stießen sie nach Bennys sechzehntem Geburtstag einen mächtigen Stoßseufzer aus. Aber der psychische Schaden war da. Benny war zum mißtrauischen, introvertierten Einzelgänger ohne soziale Fähigkeiten geworden – mit anderen Worten: in den Augen der meisten Leute ein Schwachkopf.«
    »Und könnte er etwas mit dem Verschwinden der Mädchen zu tun gehabt haben?«
    »Sex ist ein starker Antrieb für junge Männer«, sagte sie. »Bevor er Betsy Allgood angriff, hatte ich noch ernsthafte Zweifel. Danach allerdings …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Sie hatten ganz recht mit dem, was Sie vorhin sagten. Am Ende waren viele Leute wahrscheinlich froh, von Dendale wegzukommen und es untergehen zu sehen. Die Religiösen betrachteten es als Wiederholung der Sintflut, die das Böse ertränken sollte.«
    »Netter Gedanke«, meinte Pascoe. »Aber das Böse kann hervorragend schwimmen. Und wie empfanden Sie es, Mrs. Shimmings?«
    Es schien eine ganz harmlose Frage, doch zu seiner Bestürzung sah er, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, obwohl sie sich schnell abwandte und zu ihrem Pult ging.
    »Eigenartig«, sagte sie. »Während ich auf Sie wartete, bin ich in unsere kleine Bibliothek gegangen und habe dieses Buch hier rausgesucht.«
    Sie nahm ein Buch vom Pult und hielt es hoch, damit er den Titel lesen konnte.
    »Das Ende von Dendale«.
    »Ich kenne es«, sagte Pascoe. »Meine Frau hat auch eins davon.«
    Es war ein quadratischer Bildband mit vielen Fotos und wenig Text, der aus zwei Teilen bestand. Der erste hieß »Das Tal« und der zweite »Die große Flut«. Das erste Foto war ein Panorama des gesamten Tales, in Abendlicht getaucht. Und der Untertitel des ersten Kapitels hieß: »Bild einer ländlichen Idylle«.
    »Das verlorene Paradies«, sagte Mrs. Shimmings. »Als das habe ich es empfunden, Mr. Pascoe. Es mag seine Verderbnis gehabt haben, aber trotzdem war es wie die Vertreibung aus dem Paradies.«
    Draußen ertönte eine Hupe. Froh über die Unterbrechung dieses, wie er hoffte, für sein Anliegen irrelevanten Gefühlsausbruchs, trat Pascoe ans Fenster.
    Sie kamen. Diverse Fahrzeuge mit diversen notwendigen Einrichtungen für die Zentrale. Möbel, Telefone, Funkgeräte, Computer, Miniküche und natürlich Personal. So ähnlich muß es in einem Krieg ablaufen, dachte er. Vor einem großen Angriff. So viel geschäftiges Treiben, so viele Menschen und Maschinen, daß eine Niederlage undenkbar erscheinen mußte.
    Er sagte: »Wir sprechen uns später noch, Mrs. Shimmings«, und ging hinaus, um die Organisation zu übernehmen.

Sieben
    »I often think they’ve only gone out walking,
And soon they’ll come homewards all laughing and talking.
The weather’s bright! Don’t look so pale.
They’ve only gone for a hike updale.«
    A lso, was ist das nun? Narzißmus oder einfach nur die Antwort des Künstlers auf Kritik?«
    Elizabeth Wulfstan drückte den Pausenknopf ihrer Fernbedienung und wandte sich dem Mann zu, der gerade ins Zimmer getreten war.
    Die Zeit hatte es gut gemeint mit Arne Krog. Mit seinem faltenlosen, freundlichen Gesicht, umrahmt von goldblondem Haar und einem Kinnbart derselben Farbe, sah er mit seinen Mitte Vierzig eher wie die Hollywood-Version eines jungen knackigen Skilehrers aus und nicht wie der typische Bariton mittleren Alters. Und wenn die Jahre auch nicht ganz so großzügig gewesen waren, was Anerkennung und Berühmtheit betraf, so sorgte er dafür, daß man dies nicht

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