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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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die Größe eines Shetlandponys. Psychologen würden daraus vermutlich schließen, daß Lorraine keine Probleme mit ihren Eltern hatte und nach dem Hund geradezu verrückt war. Genau das, was man von einem siebenjährigen Mädchen erwartete. Pascoe erinnerte sich an sein eigenes komisches Gefühl, als Ellie ihm vor einiger Zeit kommentarlos ein Gemälde von Rosie gezeigt hatte, auf dem sie als Zehnmeterfrau und er als bloßer schwarzer Punkt dargestellt war, der in einem Auto davonbrauste.
    »Glückliche Familie?« fragte er.
    »Sehr glücklich. Ich kenne die Mutter, seit sie selbst ein Kind war.«
    »Natürlich. Sie haben ja in Dendale unterrichtet, bevor sie den Staudamm gebaut haben.«
    »Stimmt. Und wie alle anderen mußte auch ich umziehen. Der Preis des Fortschritts.«
    »Letztendlich waren aber einige Leute froh wegzugehen und sogar froh, das Tal unter Wasser zu sehen, oder?« fragte er vorsichtig.
    »Glauben Sie, Lorraines Verschwinden hat etwas mit dem zu tun, was damals passierte?«
    »Sagen Sie es mir, Mrs. Shimmings. Ich war damals nicht dabei. Haben Sie etwas von den Kritzeleien gehört? ›Benny ist wieder da!‹?«
    Sie nickte.
    »Und? Könnte er zurück sein? Und wenn ja, wo ist er in der Zwischenzeit gewesen? Ich habe gehört, er war ein bißchen einfältig.«
    »Er hätte bei Menschen untertauchen können, die keine Fragen stellen oder Urteile fällen«, mutmaßte sie. »Wie diese Alternativen. Jedenfalls war Benny nicht einfältig. Tatsächlich war er sogar sehr helle.«
    »Entschuldigen Sie. Mir wurde gesagt, er habe einen Unfall gehabt … irgendwas mit einer Metallplatte im Kopf …«
    »Ach, das«, meinte sie wegwerfend. »Ich habe Benny vor und nach dem Unfall unterrichtet, Mr. Pascoe. Und er war danach genauso schlau wie davor. Aber er war anders, und die Leute in Yorkshire verwechseln
anders
mit
abartig
genauso schnell wie anderswo. Nein, er war nicht einfältig, er war nur … ich glaube, exzentrisch ist das richtige Wort. Er besuchte unsere Grundschule, bis er alt genug für die weiterführende Schule war. Das bedeutete, daß er den Bus nehmen mußte, um aus dem Tal zu kommen, und dazu hatte er keine große Lust. Aber sein Vater bestand darauf, daß er hinging und sich anstrengte, und Benny hörte immer auf das, was Saul, sein Vater, sagte. Dann, als Benny zwölf war, ist Saul Lightfoot gestorben.«
    »Wie?« fragte Pascoe, ganz Polizist.
    »Ertrunken. Er war ein gut gebauter, athletischer Mann«, sagte Mrs. Shimmings mit leicht verträumtem Blick. »Er ging regelmäßig in unserem See schwimmen. Er war ein guter Schwimmer, aber man vermutete, daß er sich unter Wasser in den Ästen eines alten Baumes verfangen hatte. Benny war am Boden zerstört. Die ganze Familie lebte bei der alten Mrs. Lightfoot, Bennys Großmutter, im Neb Cottage. Es muß da ziemlich eng gewesen sein mit den drei Kindern: Benny und seine beiden jüngeren Geschwister Barnabas und Deborah. Aber alles lief gut, solange Saul da gewesen war. Er war ein ganz besonderer Mann. Heutzutage würde man wohl ›charismatisch‹ sagen. Oder was junge Mädchen einen Supertyp nennen.«
    Pascoe lächelte und sah unauffällig auf seine Uhr. Alte Dorfgeschichten schön und gut, aber er hatte Aufgaben im Hier und Jetzt, die keinen Aufschub duldeten.
    »Tut mir leid, ich halte Sie auf«, sagte Mrs. Shimmings.
    Er hatte vergessen, daß er einer Lehrerin mit gut geschultem Blick für die vielsagenden Feinheiten des Verhaltens gegenüberstand.
    »Bis meine Männer kommen, kann ich sowieso nichts tun«, versicherte er ihr. »Bitte erzählen Sie weiter.«
    »Tja, Marion, das ist Bennys Mutter, und die alte Mrs. Lightfoot sind nie besonders gut miteinander ausgekommen. Sie war kein Mädchen vom Land, Saul hatte sie auf einem Tanzabend in der Stadt kennengelernt, und wo er nun weg war, gab es nichts mehr, das sie in Dendale hielt. Es überraschte also niemanden, daß sie eine Stelle in der Stadt annahm und mit den Kindern wegzog. Benny kam hin und wieder her, um seine Großmutter zu besuchen. Ich merkte, daß er nicht glücklich war. Nicht, daß er mit jemandem darüber geredet hätte – nein, er zog sich mehr und mehr zurück. Dann lernte seine Mutter anscheinend einen neuen Mann kennen. Er zog zu ihnen. Ich glaube, daß sie schließlich irgendwann heirateten, aber nur, weil sie auswandern wollten – nach Australien, glaube ich –, und für Verheiratete geht das leichter. Benny wollte nicht mit. Am Abend vor der geplanten Abreise

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