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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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müssen wir Perück’ und Schminke wieder ablegen und uns selbst im Spiegel seh’n.«
    Er klang gehässig, doch sie grinste nur und sagte: »Du klingst ganz so, als wärst du mit dem falschen Fuß aufgestanden. Außerdem warst du heute verdammt früh wach. Ein Mann deines Alters braucht seinen Schlaf, Arne.«
    »Woher weißt du, wann ich aufgestanden bin? Stehe ich etwa unter vierundzwanzigstündiger Überwachung?«
    »Bin selbst vom Morgengrauen aufgewacht – Landei, das ich bin«, erwiderte sie. »Hab deinen Wagen gehört.«
    »Das könnte auch jemand anders gewesen sein.«
    »Nein. Du bist der einzige, der bis zum Ende der Straße in den vierten schaltet.«
    Er zuckte mit den Schultern. »Ich war unruhig und bin auch von der Helligkeit wach geworden. Ich wollte spazierengehen, aber irgendwo, wo keine Häuser sind.«
    »Tatsächlich? Jemanden geseh’n, den du kennst?«
    Er strich seine weichen Barthaare in Richtung Kinn zusammen. »So früh am Tag ist kaum irgend jemand zu sehen.«
    »Das nächste Mal klopf einfach an«, meinte sie, »vielleicht komm ich ja mit. Und jetzt paß auf. Wo du schon mal da bist, kannst du mir mit ein paar Stellen bei Mahler helfen.«
    Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Du bist unglaublich. Ich sage dir, daß du einen Fehler machst, diese Lieder bei deiner ersten Aufnahme zu singen, und einen zweiten, sie beim Konzert zu singen. Du ignorierst meinen Rat. Du bringst unerhörte Anschuldigungen gegen mich vor, und jetzt willst du, daß ich dir bei etwas helfe, von dem ich überzeugt bin, daß du es besser überhaupt nicht tun solltest.«
    »Aber das ist doch nix Persönliches, Arne. Es geht um Technik«, entgegnete sie, ungehalten darüber, daß er den Unterschied nicht sah. »Ich halte dich zwar in gewisser Hinsicht für ’n Arschloch, aber als Lehrer fand ich dich schon immer sehr gut. Vielleicht hättest du lieber diese Laufbahn einschlagen sollen, statt zu singen. Jetzt hör zu, ich mache mir Gedanken über meine Phrasierung an dieser Stelle.«
    Sie drückte die Fernbedienung, und das Lied setzte wieder ein.
    »Oh, yes, they’ve only gone out walking,
Returning now, all laughing and talking.
Don’t look so pale! The weather’s bright.
They’ve only gone to climb up Beulah Height.«
    »Hörst du das Problem?« fragte sie und drückte wieder den Pausenknopf.
    »Warum singst du Beulah Height?« wollte er wissen. »Das ist keine genaue Übersetzung. Auf deutsch heißt es ›auf jenen Höh’n‹.«
    »Schon gut, reg dich wieder ab. Dann sing ich eben
on yonder height,
das hat denselben Rhythmus«, meinte sie ungeduldig. »Aber jetzt hör zu, bitte!«
    Sie spielte das Lied noch einmal. Dieses Mal konzentrierte Krog sich voll und ganz auf ihre Stimme – so sehr, daß er nicht mitbekam, wie die Tür sich öffnete, bis Elizabeth sagte: »Chloe, was ist los? Was ist passiert?«
    Chloe Wulfstan – runder, als sie vor fünfzehn Jahren gewesen war, im Gesicht aber wenig verändert, abgesehen von einigen nicht unattraktiven Krähenfüßen – war ins Zimmer getreten und lehnte leicht schwankend an der Rückenlehne des Sofas. »Ich habe die Lokalnachrichten gehört«, sagte sie. »Es ist schon wieder passiert.«
    Krog ging zu ihr und legte einen Arm um ihre Schultern. Bei seiner Berührung löste sie sich vom Sofa und lehnte sich ganz an ihn, so daß er sie mit beiden Händen halten mußte. Er sah Elizabeths betont unbeteiligten Blick und zuckte leicht mit den Schultern, wie um zu fragen: Was sollte ich anderes tun?
    »Was ist schon wieder passiert?« fragte Elizabeth mit tiefer, ruhiger Stimme. »Was hast du gehört?«
    »Ein Kind ist verschwunden«, sagte Chloe. »Ein kleines Mädchen. Hinten im Tal bei Danby.«
    Arne sah wieder zu Elizabeth. Diesmal war sein Blick ebenso ausdruckslos wie ihrer.
    Die kräftige junge Stimme umhüllte sie mit dem klagenden Vers:
    »A head of us they’ve gone out walking
But shan’t be returning all laughing and talking.«

Acht
    E llie Pascoe war bereit für den Ruhm. Seit langem schon übte sie ihre Antworten für die Medienmöwen, die kreischend die Trawler des Talents umkreisen. Für den Literaturkritiker tiefschürfender Glanzblattartikel hatte sie viele wunderbare und weise Betrachtungen über das Leben und die Kunst und den Preis von Fisch und Fleisch vorbereitet, die sich in so elegante Sätze schmiegten, daß eine Verbesserung unmöglich und jegliche Kürzung ein Verbrechen wäre.
    Für die Klugscheißer von Funk und Fernsehen hatte sie

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