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Das Dorf der verschwundenen Kinder

Das Dorf der verschwundenen Kinder

Titel: Das Dorf der verschwundenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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waren breit, aber der abgetragene und geflickte Overall hing lose an seinem Körper.
    »Wie geht’s, Cedric? Das hier ist Inspector Pascoe. Wir würden gern mal mit Jed reden.«
    »Der ist bei der Arbeit, wenn man das so nennen kann«, sagte Hardcastle. »Als ob wir hier nicht genug zu tun hätten!«
    Man muß schon viel Phantasie haben, oder gar keine, um so zu denken, dachte Pascoe.
    »Nein, er ist hier, Sergeant«, erklang eine Frauenstimme.
    In der Tür des Bauernhauses erschien eine Frau. Sie war klein und adrett und hatte gerade gebacken. An ihren Händen klebte Mehl. Sie trug eine dunkelblaue Schürze über ihrem grauen Kleid, und ihr langes Haar war unter einem rechteckigen blauen Seidentuch hochgesteckt, das wie ein Schleier aussah. Tatsächlich strahlte sie mit ihrem grauen Kleid, der aufrechten Körperhaltung und der sanften Stimme, die eine tiefe innere Ruhe widerzuspiegeln schien, etwas Nonnenhaftes aus.
    »Wie geht’s, Mrs. Hardcastle?« fragte Clark. »Dürfen wir reinkommen?«
    Nachdem die Männer sich mit Vornamen angeredet hatten, fiel Pascoe nun die Förmlichkeit der Begrüßung auf. Er bekam den Eindruck, daß die steife Anrede nichts mit mangelnden Gefühlen zu tun hatte. Eher im Gegenteil.
    Es war eine Erleichterung, aus der heißen, dungvermischten Luft des Hofes in das kühle Haus zu treten. Doch die Temperatur war nicht der einzige Unterschied zu draußen. Hier deutete nichts auf Vernachlässigung hin, alles war ordentlich und liebevoll gepflegt. Die alten Eichenmöbel glänzten so, wie sie es nur nach jahrelangem, hingebungsvollem Polieren tun, und auf dem langen hölzernen Kaminsims standen zwei blitzende Messingleuchter rechts und links von einem Bilderrahmen mit dem Fotoporträt eines kleinen Mädchens. Von diesem Kind gab es noch mehr Bilder: in der Nische neben dem Kamin, wo früher sicher das Salzfäßchen gestanden hatte, und auf den beiden niedrigen Fensterbänken mit Vasen voller Wiesenblumen, von denen Pascoe Fingerhut und Pippau erkannte, die wie brennende Kerzen einem verschollenen Seemann heimzuleuchten schienen.
    »Möchten Sie ein Glas Zitronenmalzbier?« fragte Mrs. Hardcastle.
    »Ich wüßte nicht, was ich jetzt lieber hätte«, erwiderte Pascoe.
    Sie rief. »Jed, Besuch!« die Steintreppe hinauf, die am Ende des langen, von niedrigen Balken gestützten Raumes emporführte, und ging in die Küche.
    Einige Zeit hörte man gar nichts, aber als Mrs. Hardcastle mit einem Tablett voller Gläser und einem Krug aus der Küche zurückkehrte, ertönte Fußgetrappel auf den Stufen, und ein junger Mann stürmte in den Raum.
    Er strahlte weder den Argwohn seines Vaters noch die Ruhe seiner Mutter aus, sondern nervöse Unruhe, sobald er stillstand, was nicht oft geschah. Er war schmal gebaut und trug ein schwarzes T-Shirt und eine so enge schwarze Hose, daß man unwillkürlich an Ballettänzer denken mußte. Was passiert wohl, wenn man darin erregt wird? überlegte Pascoe.
    »So?« sagte der Junge und starrte Clark herausfordernd an.
    »Auch schön, dich zu sehen, Jed«, sagte der Sergeant. »Wir hätten da ein paar Fragen an dich. Wegen Samstag nacht.«
    Der Junge musterte Pascoe, der durstig sein erfrischendes Malzbier trank.
    »Wer is’n das? Ihr Leibwächter?«
    Kehrt ein bißchen zu sehr das Großmaul raus, dachte Pascoe. Vor allem, wo er nicht weiter von der Arbeit weggelaufen war als bis nach Hause. Er hatte vorgehabt, sich zurückzuhalten, um Clark mit seiner nachbarschaftlichen Vertrautheit mehr Spielraum zu geben. Aber den Schwachen verlieh gerade eine solche Vertrautheit Stärke, und Clarks effektivste Verhörmethode würde in diesem Fall wohl kaum Wirkung zeigen.
    Er trat näher an den Jungen heran und sagte mit freundlicher Stimme: »Ich bin Detective Chief Inspector Pascoe. Ich führe Ermittlungen wegen eines kleinen Mädchens durch, das gestern morgen verschwunden ist. Wie alt bist du, Jed?«
    »Siebzehn, grad geworden.« Er warf seiner Mutter einen seltsam anklagenden Blick zu und sagte: »Wollten Sie mir ’ne Karte schicken, oder was?«
    »Nein«, entgegnete Pascoe ruhig. »Ich wollte nur feststellen, ob du vor dem Gesetz ein Erwachsener bist. Dann müssen wir deine Eltern nämlich nicht bemühen, dich zum Revier zu begleiten. Sergeant, abführen!«
    Er wandte sich abrupt um. Mrs. Hardcastle machte ein Gesicht, als hätte er ihren Sohn soeben zum Tode verurteilt. Ihr Mann stand im Türrahmen und blickte finster drein. Selbst Clark wirkte schockiert.
    Pascoe blieb

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