Das Dorf in den Lüften
keine Erlaubniß erhalten hatten.
Sie sahen sich also, wenigstens vorläufig, gezwungen, ihren Aerger zu verschlucken und sich’s gefallen zu lassen, inmitten dieser merkwürdigen Waldwelt in dem Dorfe in den Lüften zu leben.
Die Wagddis schienen übrigens sanfter, wenig zänkischer Natur zu sein, und waren, darauf ist besonderes Gewicht zu legen, weniger neugierig und weniger überrascht von der Erscheinung von Fremdlingen, als es bei den tiefststehenden Wilden Afrikas und Australiens der Fall gewesen wäre. Der Anblick der beiden Weißen und der beiden Congolesen verwunderte sie nicht so sehr, wie er jeden andern Eingebornen Afrikas verwundert hätte. Die Sache ließ sie offenbar gleichgiltig, und von Zudringlichkeit war bei ihnen keine Spur. Hier zeigte sich nichts von Maulaffenfeilhalten oder von albernem Vornehmthun. Was die Akrobatik anging, nämlich ein Erklettern der Bäume, ein Hinüberspringen von einem Aste zum anderen, oder ein Hinuntergleiten längs der Treppenleiter von Ngala, hätten sie einem Billy Hayden, einem Joë Bibb und einem Fottit, den damals unerreichten Meistern der Circus-Akrobatik, leicht die Stange halten können.
Neben ihren hoch entwickelten physischen Eigenschaften zeichneten sich die Wagddis auch durch einen ungemein scharfen Gesichtssinn aus. Bei der Jagd auf Vögel erlegten sie diese mit kleinen Pfeilen. Auch ihre Schläge führten sie mit größter Sicherheit, wenn sie Damwild, Elenthiere, Antilopen und sogar Büffel und Flußpferde im Hochwalde verfolgten. Dabei hätte sie Max Huber gar zu gern begleitet, ebenso in der Absicht, ihre Geschicklichkeit als Jäger zu bewundern, wie um sich bei passender Gelegenheit aus dem Staube zu machen.
Ja, entfliehen… das war’s, woran die Gefangenen unausgesetzt dachten. Eine Flucht war aber nur über die einzige Leitertreppe ausführbar, und diese war an ihrem obersten Absatz von Kriegern besetzt, deren Wachsamkeit schwerlich getäuscht werden konnte.
Wiederholt stieg in Max Huber der Wunsch auf, einige von den Vögeln zu schießen, die – es waren Su-mangas, Ziegenmelker, Perlhühner, Wiedehopfe, Griots und andere – in Scharen unter den Bäumen umherflatterten und den Waldmenschen vielfach als Nahrung dienten. Seine Gefährten und er wurden aber Tag für Tag mit Wildpret versorgt, meist mit dem Fleische von verschiedenen Antilopen, von Oryx, Inyalas, Sassabys und Wasserböcken, die im Walde von Ubanghi zahlreich vorkamen. Ihr Diener Kollo ließ es an nichts fehlen; er erneuerte täglich den Vorrath an frischem Wasser, der für die Zubereitung der Speisen erforderlich war, und auch den an trockenem Holze zur Unterhaltung des Feuers.
Wurden die Gewehre übrigens zu Jagdzwecken verwendet, so wäre das mit dem mißlichen Umstande verknüpft gewesen, daß damit ihre Wirkung verrathen wurde. Jedenfalls erschien es aber rathsamer, diese geheim zu halten und die Waffen erst im Nothfall zur Abwehr oder zum Angriff zu benutzen.
Die Fremdlinge wurden reichlich mit Fleisch versorgt, weil sich auch die Wagddis mit solchem, das entweder über glühenden Kohlen geröstet oder in den von ihnen selbst angefertigten irdenen Gefäßen gekocht war, in der Hauptsache ernährten. Die Zubereitung der Speisen ließ sich, mit Unterstützung durch Llanga, Kollo eifrig angelegen sein – Khamis betheiligte sich dabei nicht, sein Stolz als Eingeborner hätte das niemals zugelassen.
Hier muß noch erwähnt werden, daß es – zur großen Befriedigung Max Huber’s – auch an Salz nicht fehlte. Das war jedoch nicht das Natriumchlorür, das im Meerwasser enthalten ist, sondern das in Afrika, Asien und Amerika so weitverbreitete Steinsalz, das den Erdboden in der Umgebung von Ngala an vielen Stellen bedeckte. Den Nutzen dieses Minerals, des einzigen, das im Naturzustande genossen wird, hatten die Wagddis – so gut wie sogar die Thiere – rein aus Instinct erkannt.
John Cort interessierte sich nebenbei auch lebhaft für die Frage, wie diese Urmenschen sich wohl Feuer erzeugen möchten, und ob sie das mittels Reibung eines harten Holzstückes auf einem weichen nach der bei den Wilden gewöhnlichen Art erreichten. Das war jedoch nicht der Fall; sie bedienten sich dazu vielmehr zweier Feuersteine, die beim Aneinanderschlagen Funken gaben. Diese Funken genügten zur Entzündung des Flaumes der Frucht eines »Rentenier« genannten Baumes, den man in den afrikanischen Wäldern häufig antrifft, und von dem gewisse Theile unseren Zündschwamm vollkommen
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