Das Dorf in den Lüften
das wäre?
– Die des Familienstandes, dem man überall bei ihnen begegnet, die Lebensgemeinschaft von Vater und Mutter, die Sorge für die Kinder, und die gegenseitige Liebe, die alle verbindet. Haben wir das nicht schon bei Lo-Maï sehen können? Die Wagddis sind selbst für rein menschliche Seeleneindrücke empfänglich. Achtet nur auf unseren Kollo… erröthet der nicht zuweilen aus irgend welcher Ursache? Ob das aus Scham oder Furchtsamkeit, aus Bescheidenheit oder Verwirrung geschieht, denn das sind die vier Veranlassungen, die dem Menschen das Blut ins Gesicht treiben, ist ja gleichgiltig, doch unbestreitbar bringt irgend etwas diese Wirkung bei ihm hervor. Wo aber eine Empfindung ist, da ist auch eine Seele.
– Wenn die Wagddis aber, ließ sich Max Huber vernehmen, so viele menschliche Eigenschaften zeigen, warum soll man sie dann nicht als wirkliche Menschen anerkennen?
– Weil ihnen doch noch eine Vorstellung fehlt, die sonst allen Menschen eigen ist, mein lieber Max.
– Welche hast Du da im Sinne?
– Die von einem höchsten Wesen, kurz, die Religiosität, die sich selbst bei den wildesten Volksstämmen findet. Ich habe noch nicht beobachten können, daß sie irgendwelche Gottheiten anbeten, habe hier auch noch keine Götzenbilder oder Priester gesehen.
– Wenn ihr höchstes Wesen, meinte Max Huber, nicht gerade jener König Mselo-Tala-Tala ist, von dem sie uns nicht einmal die Nasenspitze zu sehen erlauben!«
Hier wäre übrigens Gelegenheit zu einem ausschlaggebenden Versuche gewesen, zu der Probe, ob diese Urmenschen unempfindlich wären gegen die giftige Wirkung des Atropins, der jeder Mensch unterliegt, während die Thiere sie ohne Nachtheil vertragen. Wenn ja, so waren es Menschen, wenn nein, so waren es Thiere. Wegen Mangels an diesem Giftstoffe konnte der Versuch leider nicht angestellt werden. Beiläufig sei ferner erwähnt, daß während des Aufenthaltes John Cort’s und Max Huber’s in Ngala kein einziger Todesfall vorkam. Es blieb also ungewiß, ob die Wagddis ihre Todten verbrannten oder beerdigten, ebenso ob sie eine Art Todtenverehrung kannten oder nicht.
Begegnete man unter der wagddiischen Bevölkerung auch keinen Priestern oder Zauberern, so sah man doch eine Anzahl mit Pfeil und Bogen, mit Spießen und Aexten ausgerüstete Krieger… vielleicht hundert Mann, die aus den kräftigsten und bestgewachsenen Leuten ausgewählt waren. Unklar blieb, ob diese nur als Leibwache für den König oder auch für den Angriff oder die Abwehr Verwendung fanden. In dem großen Walde konnten ja noch andere Dörfer gleicher Art und gleichen Ursprunges liegen, und wenn deren Einwohner nach Tausenden zählten, warum sollten sie, wie die übrigen Völker Afrikas, sich nicht gegenseitig bekriegt haben?
Daß die Wagddis schon mit den Eingebornen von Ubanghi, Baghirmi, vom Sudan oder mit Congolesen in Berührung gekommen wären, ließ sich kaum annehmen, und dasselbe dürfte wohl auch bezüglich des Zwergvolkes, der Bambusti, gelten, die der englische Missionär Albert Lloyd in den Wäldern Centralafrikas entdeckt und als fleißige Ackerbauer erkannt hatte, was auch Stanley in dem Berichte über seine letzte Reise hervorhebt. Hätte eine solche Berührung stattgefunden, so wäre das Vorkommen dieser Waldmenschen schon lange bekannt geworden und es John Cort und Max Huber nicht vorbehalten gewesen, sie zu entdecken.
»Doch, bemerkte der zweite, wenn die Wagddis einander tödten, liebster John, so würde sie das auch zum Range der eigentlichen Menschen erheben!«
Uebrigens erschien es kaum annehmbar, daß die Wagddikrieger nur einem nutzlosen Müßiggehen fröhnten, und daß sie nicht in der Umgebung gelegentlich eine Razzia ausführten. Nach zwei-bis dreitägiger Abwesenheit tauchten sie nämlich einmal plötzlich wieder auf, und da waren einzelne davon verwundet und andere brachten verschiedene Dinge, Geräthe oder Waffen, wagddiischen Ursprungs mit.
Mehrmals, doch immer vergeblich, wagte der Foreloper den Versuch, aus dem Dorfe zu entkommen. Die Kriegsleute, die die Treppe besetzt hielten, wiesen ihn dabei mit einiger Gewalt zurück. Einmal wäre Khamis sogar gehörig mißhandelt worden, wenn ihm Lo-Maï, den der Auftritt herbeigelockt hatte, nicht schnell zu Hilfe gekommen wäre.
Bei dieser Gelegenheit kam es übrigens zu einem hitzigen Wortwechsel zwischen Lo-Maï und einem kräftigen Burschen, der Raggi genannt wurde. Nach dem Fellüberwurf, den er trug, nach den Waffen, die an seinem
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