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Das Dorf in den Lüften

Das Dorf in den Lüften

Titel: Das Dorf in den Lüften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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Schriftsteller hat behauptet, daß in jedem Menschen ein Ich und ein Anderer verborgen sei. Wahrscheinlich fehlt den Urmenschen hier einer davon…
    – Und welcher, John?
    – Ganz sicher der andere. Um sie gründlich zu erforschen, müßte man sich Jahre lang bei ihnen aufhalten; ich hoffe jedoch, daß wir binnen wenigen Tagen wieder aufbrechen können…
    – Das dürfte, fiel Max Huber ein, wohl von Seiner Majestät abhängen, und wer weiß denn, ob der König Mselo-Tala-Tala uns nicht zu Kammerherren des wagddiischen Hofes ernennen will?«
Fußnote
    1 Ein Wort von de Quatrefages.
Fünfzehntes Capitel.
Dreiwöchige Studien.
    Wie lange sollten John Cort, Max Huber, Khamis und Llanga sich in diesem Dorfe wohl zurückgehalten sehen? – Sollte irgend ein Ereigniß in ihrer immerhin beunruhigenden Lage eine Aenderung herbeiführen?…Sie sahen sich so scharf überwacht, daß an eine Flucht kaum zu denken war… Doch selbst angenommen, daß es ihnen gelänge, zu entfliehen, wohin hätten sie sich inmitten des undurchdringlichsten Theiles des großen Waldes wenden, wie dessen Ende erreichen oder das Bett des Rio Johausen wiederfinden sollen?
    Trotz seiner Sehnsucht nach außergewöhnlichen Erlebnissen meinte Max Huber doch, daß die Sachlage, wenn sie in gleicher Weise fortbestand, ungemein an Reiz verliere. Er war denn auch der erste, dem die Geduld ausging und der jetzt nichts sehnlicher wünschte, als nach dem Becken des Ubanghi zu kommen und nach der Factorei in Libreville zurückzukehren, von der John Cort und ihm doch keinerlei Hilfe in Aussicht stand.
    Der Foreloper zeterte über das Pech, das ihn den Tatzen – seiner Ansicht nach waren es eben Tatzen – dieses tief unten stehenden Waldmenschenvolkes zugeführt hatte. Er verheimlichte auch gar nicht die vollkommene Verachtung, die jene Geschöpfe ihm einflößten, während sie sich doch nicht wesentlich von den anderen in Centralafrika hausenden Stämmen unterschieden. Khamis empfand eine Art instinctive, unbewußte Eifersucht, die den beiden Freunden keineswegs entging. Jedenfalls aber verlangte es ihn ebenso wie Max Huber, Ngala den Rücken zu kehren, und was dazu zu thun nöthig wäre, das wollte er gerne thun.
    Am wenigsten schien es John Cort eilig zu haben, denn ihn drängte es, sich über diese Urmenschen möglichst eingehend zu unterrichten. Zur Ergründung ihrer Sitten, ihrer Lebensweise, ihres ethnologischen Charakters und moralischen Werthes, sowie zu bestimmen, bis wie weit sie noch ins Thierreich hineinreichten, dafür hätten ja wenige Wochen genügt. Jetzt wußte freilich noch niemand, ob sich der unfreiwillige Aufenthalt bei den Wagddis nicht weit länger, auf Monate, vielleicht auf Jahre ausdehnen werde, und ebenso ungewiß war der endliche Ausgang dieses erstaunlichen Abenteuers.
    Von einer schlechten Behandlung schienen John Cort, Max Huber und Khamis dagegen nicht bedroht zu sein; offenbar erkannten die Waldmenschen deren geistige Ueberlegenheit rückhaltlos an. Ferner – und das war eine kaum erklärliche Erscheinung – hatten sie sich über das Erscheinen wirklicher Menschen nie besonders verwundert gezeigt. Hätte die kleine Truppe aber ihre Flucht mit Gewalt durchsetzen wollen, so setzte sie sich damit sicherlich Fährlichkeiten aus, die besser vermieden wurden.
    »Für uns ist es das wichtigste, sagte Max Huber, mit dem Vater Spiegel, dem Herrscher mit der Brille, zu verhandeln und ihn zu bestimmen, daß er uns freien Abzug gewährt.«
    Es konnte ja nicht unmöglich sein, eine Unterredung mit Seiner Majestät Mselo-Tala-Tala zu erlangen, wenn es Fremden nicht ausdrücklich verboten war, seine erhabene Person zu sehen. Doch wenn man auch bei ihm vorgelassen würde, wie sollte die Verhandlung geführt werden? Selbst in congolesischer Sprache wäre ja eine Verständigung ausgeschlossen gewesen. Der Erfolg einer solchen war dann noch ebenso unsicher. Es konnte ja im Interesse der Wagddis liegen, die Fremden überhaupt hier zurückzuhalten, um einer Enthüllung des Geheimnisses von dem Vorhandensein einer noch unbekannten Rasse vorzubeugen.
    Wenn man John Cort glauben durfte, so waren der Gefangenschaft in dem Dorfe in den Lüften sogar mildernde Nebenumstände nachzurühmen, da die vergleichende Anthropologie daraus Nutzen ziehen und die gelehrte Welt die Auffindung einer neuen Rasse mit größter Verwunderung begrüßen mußte. Wie die Geschichte freilich enden möchte…
    »Der Kuckuck soll mich holen, wenn ich das weiß!« rief Max

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