Das Dornenhaus
Schatz.«
Odette hatte es aufgegeben, zu streiten und zu protestieren, während Harriet den Inhalt der Schränke und Kommoden geschäftig zu Haufen zusammentrug. »Von der Tischwäsche brauche ich nichts, davon habe ich selbst genug«, verkündete sie fröhlich.
Heimlich hatte Odette hinter dem Rücken ihrer Tante den Wäschekarton durchwühlt und die gehäkelten Deckchen und Untersetzer herausgezogen. Auch die handgestrickten Eierwärmer für ihre »Soldateneier« hatte sie gerettet.
Wie die drei ihre weich gekochten Eier geliebt hatten, die aufrecht im Eierbecher standen. Wenn der Eierwärmer abgenommen wurde, lachte Ralph und der erstaunten und begeisterten Odette ein von Sheila aufgemaltes lustiges Gesicht entgegen, ein witziger Spruch oder ein kleines Bild. Für die Soldateneier gab es ein Ritual – sie wurden mit dem Messer geköpft, und Sheila war der Gefreite gewesen, während Odette und ihr Vater die Generäle waren. Das Eiweiß wurde aus der abgeschlagenen Spitze gelöffelt, dann wurde der Löffel in das cremige Gelb gesteckt, das weich sein musste, aber nicht von glibberigem Eiweiß umgeben sein durfte. Ein Stück Toast wurde in vier ›Reiter‹ geschnitten, die so tief wie möglich eingetaucht wurden, wobei kein Eigelb über den gezackten Schalenrand laufen durfte. Und wenn das Ei aufgegessen war, wurde die Schale verkehrt herum in den Eierbecher gestellt, und sie witzelten miteinander, dass sie noch heile Eier hatten.
Mit den Eierwärmern in der Hand erinnerte sich Odette daran, wie Sheila immer das Ei für Ralph geköpft, die Spitze sauber abgeschlagen, es mit Salz und Pfeffer bestreut und ihm mit einem Lächeln hingeschoben hatte. »Hier, Ralphie, genau, wie du es gern hast. Jetzt lass es aber nicht kalt werden.«
Und ihr Vater hatte die Zeitung zusammengefaltet, das Ei betrachtet und staunend gesagt: »Deine Mutter kocht die Eier auf die Sekunde genau, und dabei sieht sie nie auf die Uhr. Sie muss eine eingebaute Uhr haben, was, Detty?« Und mit einem Lächeln für seine Frau hatte er den Löffel gehoben und sich über das Ei hergemacht.
Odette versteckte die Andenken in einem alten Pappkoffer unter ihrem Bett, zusammen mit ein paar anderen Sachen, die sie gerettet hatte – ein Kristallschälchen, das auf der Frisierkommode ihrer Mutter gestanden und das selten benutzte Gesichtspuder enthalten hatte, und die Gipsfigur einer Ballerina in einem lindgrünen und rosafarbenen Ballettröckchen, die auf dem Klavier ihren Platz gehabt hatte.
Odette wusste nicht, woher die Ballerina stammte. Solange sie denken konnte, hatte die Figur, erstarrt auf der Zehenspitze, auf dem Klavier gestanden, den einen Arm über den Kopf gebogen, den anderen graziös um das steife Ballettröckchen gelegt, die Finger in anmutiger Haltung, den ausgestreckten Zeigefinger auf die zierlichen Zehen gerichtet. Staub hatte sich zwischen den winzigen Löchern des Gips-Tülls angesammelt, und die Farben waren verblichen, aber das ließ die Figur fast durchscheinend wirken und die Tänzerin noch graziöser aussehen.
Diese Dinge waren nicht wertvoll, aber ihre Vertrautheit und das Wissen, dass ihre Mutter sie gemocht hatte, machten sie zu etwas Besonderem, daher hielt Odette sie vor Tante Harriet versteckt.
»Odette? Du kommst sehr spät aus der Schule, Liebes. Du solltest nicht in dieser Hitze herumtrödeln.« Harriets Stimme drang in ihre Erinnerungen ein. »Ich habe dir etwas zu essen gemacht«, sagte Harriet und hielt die Verandatür auf. »Wasch dir die Hände, und dann fang mit deinen Hausaufgaben an. Aber ich hätte gerne, dass du zur Butterfabrik gehst, bevor es allzu spät wird. Ich brauche frische Sahne. Ich habe eine Torte gebacken.«
»Wie schön«, sagte Odette gehorsam. Sie beäugte die mit Käse belegten Kräcker und den Krug Limonade. Wenn Tante Harriet nur nicht so ein Theater machen würde. Sich selbst überlassen, hätte Odette den Imbiss genossen, aber solange ihre Tante dabeistand und selbstzufrieden lächelte, fiel ihr das Schlucken schwer.
Es kam Odette so vor, als müsse man in Tante Harriets Haus ständig dankbar sein. Sie wurde dauernd daran erinnert, »für unsre Segnungen zu danken, Odette. Es gibt viele Menschen, denen es bedeutend schlechter geht als uns.« Sobald das Abendbrot auf dem Tisch stand, faltete Harriet die Hände und sprach mit lauter Stimme ein Dankgebet. Odette empfand keine wirkliche Dankbarkeit, sondern Schuld, als sei sie eine fortwährende Belastung für Tante Harriet.
Odette
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