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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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geschwächten Körper und das schwache Herz gewesen, und sie war friedlich in Roberts Armen entschlafen, war wie das letzte bleiche Flackern einer niedergebrannten Kerze erloschen.
    Mrs. Butterworth nahm das Neugeborene mit in die Wärme ihrer Küche und wiegte das kleine Bündel in den Armen. Sie blickte auf das winzige herzförmige Gesicht. Catherines Züge sahen der untröstlichen Haushälterin entgegen. Mrs. Butterworth schluchzte auf. »Du armes kleines Wesen.«
    Sie erhob sich, als der aschfahle Robert MacIntyre die große Küche betrat. Er setzte sich an den Tisch und vergrub den Kopf in den Händen. Mrs. Butterworth ging zu ihm und hielt ihm das in ein Baumwolltuch gewickelte Baby hin.
    Ein Schauder überlief ihn, er sprang auf und warf dabei den Stuhl krachend zu Boden. »Bringen Sie es weg, Mrs. Butterworth! Ich will das Kind nie wieder sehen!« Mit geröteten Augen sah er zur Tür, und als er aus dem Raum schritt, brüllte er: »Und schicken Sie sie dahin zurück, woher sie gekommen ist! In diesem Haus wird es keine Kinder geben!«
    Mrs. Butterworth fuhr herum und sah Mary in ihrem langen Nachthemd, das Gesicht tränenüberströmt, an der Tür stehen.
    Plötzlich stürmte das Mädchen wie ein wütendes Tier auf Mrs. Butterworth zu. Zorn, Angst und Enttäuschung brachen aus ihr heraus.
    Wie wild zerrte sie an dem Tuch, in welches das Baby gewickelt war. Zwischen den Schluchzern stieß sie hervor: »Ich hasse dich, Baby! Du hast mir meine Mama weggenommen. Ich hasse dich …«

Kapitel vier
    Amberville 1956
    D as Städtchen Amberville hatte in Odettes Augen während der letzten Jahre nichts hinzugewonnen. Sie fand es klein, langweilig und beengend, ohne dass es irgendeinen ländlichen Charme aufweisen konnte. Die Bewohner waren verschlossen und zurückhaltend und gaben ihr nach wie vor das Gefühl, eine Außenseiterin zu sein.
    Amberville ähnelte vielen australischen Landstädten. Die Häuser waren meist aus Holz, hatten Metalldächer und große Veranden. Es gab mehrere gut gepflegte Kirchen, ein imponierendes Bankgebäude und eine Post. In der Mitte der breiten Hauptstraße standen welke Palmen, parkende Autos und Lastwagen. Die Bürgersteige waren breit, beschattet von den Markisen der Geschäfte. Niemand schien es eilig zu haben.
    Die Isobel Street war die Geschäftsstraße der Stadt. Am einen Ende befand sich der Park mit dem Ehrenmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs.
    Am anderen Ende stand das neue Klubhaus der Kriegsheimkehrer, erbaut mit Spenden, die die Veteranen zweier Weltkriege gesammelt hatten. Dazwischen erstreckten sich die Geschäfte, die ein ganzes Jahrhundert zu verkörpern schienen – von der Drogerie, in der immer die hübschesten Mädchen des Ortes bedienten, bis zu dem schummrigen Eisenwarenladen mit seinen Reihen kleiner Schubladen, in denen Nägel, Schrauben, Haken und Bolzen untergebracht waren.
    Der große Gemischtwarenladen, der immer noch die aus dem neunzehnten Jahrhundert stammende Bezeichnung Emporium trug, hatte alles zu bieten, angefangen von Nahrungsmitteln über jede Art von Gebrauchsgütern bis hin zu Geburtstagsgeschenken. Mr. Steiner, der örtliche Juwelier, ein Goldschmied, der 1939 aus Wien geflohen war, führte eine Auswahl an Hochzeitsgeschenken aus Silber und Kristall, tickende Uhren, die an einer Wand aufgehängt waren, und Armbanduhren, die in einem Schaukasten aufgereiht lagen und deren Zeiger alle auf Viertel vor drei standen.
    Das Kurzwarengeschäft, geführt von Ethel und Audrey Armstrong, zwei grauhaarigen, unverheirateten Schwestern, bot Schuluniformen, Moskitonetze und Ballen praktischer Stoffe an. Ein Teil des kleinen Ladens war angefüllt mit Kurzwaren, Bändern und einer Auswahl bunter Strickwolle. Ein viel benutztes Musterbuch hing an einem Band neben dem Ladentisch. Wenn die Damen nicht bedienten oder ihren Laden aufräumten, strickten sie Teewärmer, Kleiderbügelüberzüge, Püppchen und Babyjäckchen für den Stand vom Roten Kreuz.
    Der Metzgerladen hatte einen mit Sägespänen bestreuten Boden, und an einer der schwarz und weiß gekachelten Wände hing eine Schautafel, auf der ein kräftiger Ochse abgebildet war, zerteilt in die gängigen Fleischstücke. Auf zerstoßenem Eis waren im Schaufenster Tabletts mit Frischfleisch aus dem örtlichen Schlachthaus ausgestellt. Die Trunkeys, Vater und Sohn, schwangen in ihren blau-weißen Kitteln an den beiden großen Blöcken, die einst dicke Baumstämme gewesen waren, ihre Messer und

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