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Das Dornenhaus

Das Dornenhaus

Titel: Das Dornenhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Di Morrissey
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ihr an, die langen Röcke der Frauen flogen, während ihre nackten Füße ausgelassene Tanzschritte ausführten. Die Männer, würdevoll und ernst, tanzten voll Sinnlichkeit auf die Frauen zu. Alle gaben sich vollkommen der Leidenschaft und der Musik hin.
    Die Kinder rannten lachend herbei und tanzten mit. Bevor sie sich’s versah, hatte Zacharias Odette ergriffen und wirbelte sie herum.
    »Bleib hier und iss mit uns zu Abend, Mädchen«, sagte eine der Frauen, als der fröhliche Tanz endete.
    »Ich kann nicht. Meine Tante wird sich Sorgen um mich machen. Oje, es wird schon dunkel. Ich muss gehen.«
    »Bring sie sicher nach Hause, Zac. Leb wohl, Kleine. Komm wieder, wenn du kannst.«
    Zac nahm ihre Hand und ging mit ihr zusammen zur Stadt zurück. Odette winkte den anderen zu und fragte: »Was hat sie damit gemeint, wenn ich kann?«
    »Wir haben die Angewohnheit weiterzuziehen«, lachte er. »Jetzt erzähl mir deine Geschichte. Ob sie stimmt oder nicht, ist mir egal.«
    Odette warf den Kopf zurück. »Ich lebe auf einem Baum. Und jede Woche gleitet ein Zauberreich auf einer Wolke zu meinem Baum, und ich erlebe viele Abenteuer in diesen fremden und wunderbaren Ländern.« Sie bezweifelte, dass er eine ihrer Lieblingsgeschichten aus ihrer Kindheit gelesen hatte.
    Er hörte ihr mit zur Seite gelegtem Kopf nachdenklich zu. »Was passiert, wenn das Land weitergleitet, während du noch drin bist?«
    »Oh, das darf nicht passieren! Du musst rasch die Leiter von der Wolke zu deinem Baum hinunterklettern, bevor das Land weitertreibt, sonst bist du für immer verloren.«
    »Ah, verstehe. Ich muss in den Wipfel meines Baumes klettern und sehen, ob ich auch so ein wunderbares Land finde. Doch ich glaube, jetzt sind wir erst mal bei deinem Haus angekommen.«
    Er zwinkerte ihr am Tor von Tante Harriets Haus zu, drückte ihr kurz die Hand, warf ihr durch die Luft einen Kuss zu und tanzte singend davon. Noch ganz verwirrt, schaute Odette ihm nach und lief dann schnell hinein.
    »Wo warst du?«, wollte Tante Harriet wissen. »Ich wollte mich gerade auf die Suche nach dir machen. Du bist eine Träumerin, Odette, du achtest nie auf das, was du tust. Es ist ja gut und schön, dass du dir Geschichten ausdenkst und in der Gegend herumtrödelst, aber das Leben geht weiter. Du wirst es auf dieser Welt nie zu etwas bringen, wenn du dich ständig in Tagträumen verlierst. So, und wo ist die Sahne? Das Abendessen ist fertig.«
    »Oh. Ich hab sie nicht, Tante Harriet.«
    Ihre Tante wirbelte herum und sah Odette an. »Und wieso nicht? Wo ist die Milchkanne? Sag mir nicht, sie haben dich abgewiesen.«
    »Nein, nein … ich …« Ihr Instinkt riet ihr, die Zigeuner nicht zu erwähnen. Schon jetzt kamen ihr Zac und seine Familie wie ein Traum vor. »Ich glaube, ich habe sie am Fluss stehen lassen. Ich bin auf dem Uferweg zurückgekommen.«
    »Na siehst du, was habe ich dir gerade gesagt – du lebst in einer anderen Welt, Odette. Wirklich, du bist hoffnungslos. Wie du in der großen Welt zurechtkommen willst, ist mir ein Rätsel. Du wirst deine Handtasche verlieren, vor einen Bus laufen oder dich verirren.« Harriet seufzte aufgebracht. »Jetzt ist es zu dunkel, um die Kanne zu holen. Und was ich mit der Torte machen soll, die ich dem Roten Kreuz für morgen früh versprochen habe, weiß ich nun wirklich nicht. Ich bin sehr ärgerlich.«
    »Ich hole die Kanne morgen ganz früh, bevor ich zur Schule gehe.«
    »Bis dahin ist sie bestimmt gestohlen worden. Jetzt geh und mach dich fürs Essen fertig«, schimpfte die Tante.
    Kleinlaut verließ Odette das Zimmer. Das Abendessen wurde schweigend eingenommen, und nachdem sie das Geschirr gespült hatte, floh Odette unter dem Vorwand, Hausaufgaben machen zu müssen, in ihr Zimmer. Harriet saß vor dem Radio und strickte einen weiteren Teewärmer für einen Wohltätigkeitsbasar. Das rasche Klappern der Nadeln und ihr fest zusammengepresster Mund deuteten darauf hin, dass sie sich immer noch über den Verlust der Sahne ärgerte.
    Vor Odettes Fenster ertönte ein Vogelruf. Erstaunt hob sie den Kopf und wunderte sich über das nächtliche Gezwitscher. Sie ging ans Fenster und sah auf die dunkle Straße hinaus, aber das Zwitschern hatte aufgehört. Als sie an ihren Schreibtisch zurückkehrte und sich wieder der Geschichte über ihr Treffen mit den Zigeunern widmen wollte, hielt sie plötzlich inne und lachte laut auf.
    So leise sie konnte, schlich sie aus dem Haus und lief zum Tor. Dort hing die Milchkanne

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