Das Drachentor
entfernt, zwischen den mächtigen Wurzeln einer Eiche, die wie riesige Arme um sich griffen, lag Yelanah auf ihren Moosfellen. Sie erinnerte Revyn an ein Samenkorn, das unter den wachsamen Blicken der Bäume heranreifen sollte.
Er sah sich im Ring der Eichen um, während er die letzte Celgonnwa aß. Auf verschiedenen Felsbrocken, zwischen Astgabeln und unter Wurzeln waren allerlei Dinge gesammelt. In einer hohlen Baumöffnung lagen Beutel voll Getreide, Gemüse und Wurzeln; daneben standen ein paar geflochtene Körbe auf einem breiten Ast, in denen sich getrocknete Äpfel und Beeren häuften. Kleine Tongefäße und Töpfe stapelten sich aufeinander. Lange Wasserschläuche hingen aus den Zweigen herab. Auch Kräuter waren zum Trocknen in den Ästen aufgehängt. In einer anderen Ecke, wo mehrere runde Steine wie Stufen in die breite Krone einer Eiche hinaufführten, lagen Schnitzmesser und Schleifsteine, Lederschnüre und verschieden große Klingen. In den Ästen hing eine Hängematte aus geflochtenen Gräsern.
Dort wo Yelanah schlief, lag ein großer Bogen aus Haselnussholz auf einem Felsen. Hinter ihr steckte eine Handvoll Pfeile in der Erde; neben ihrem Kopf war ein Speer mit dunkelroten Bemalungen in den Boden gerammt. Gleich daneben lagen Revyns Hemd, sein Wams und seine Schuhe. Jenseits des dichten Blätterwerks, das die Eichen umgab, rauschte Wasser. Vermutlich war ein Bach in der Nähe.
Revyn richtete sich auf. Bis auf ein leichtes Ziehen schmerzte die Wunde nicht mehr. Nur die Schwäche des Fiebers hatte sich von Yelanahs Pflege nicht vertreiben lassen. Lautlos schlüpfte Revyn unter der Felldecke hervor, zog das Hemd an und band die Schulterschnüre an seinem Wams fest. Zuletzt schlüpfte er in die Stiefel, als er ein Geräusch hinter sich vernahm.
»Du gehst?«
Revyn drehte sich zu Yelanah um und nickte. »Ich bin dir schon lange genug zur Last gefallen.«
»Gut«, sagte Yelanah und kam auf die Beine. Dann lief sie durch den Eichenring bis zu den Felsstufen, die in einen der Bäume hinaufführten. Einen Augenblick später war sie im dichten Geäst verschwunden. Als sie wiederkehrte, hielt sie sein Schwert im Arm und streckte es kurz hoch, um es ihm zu zeigen; dann lief sie zu ihrem Schlaflager zurück, schwang sich mit einer Hand den Bogen um die Schulter und schob drei Pfeile in ihren schmalen Gürtel, in dem bereits ihr Dolch steckte.
»Wie geht es deiner Pfeilwunde?«, fragte Revyn.
Yelanah schenkte ihm einen ironischen Blick. »Wenn wir bei dem Weg angekommen sind, der dich zurückbringt, gebe ich dir dein Schwert wieder. So lange trage ich es.« Sie schob einen Ast zur Seite, an dem ein langer Moosteppich mit Gräsern befestigt war, und bedeutete Revyn, hindurchzugehen. Vorsichtig stieg er durch das Loch in der Laubmauer und Yelanah folgte ihm. Vor ihnen liefen mehrere Bäche durch Gras und Wildorchideen. Der Eichenring thronte wie eine Insel inmitten einer blühenden Sumpflandschaft.
»Komm«, sagte Yelanah und lief ihm über flache Steine voran. Nebel hingen über dem feuchten Dickicht und tauchten alles in verschwommenes Blau. Die Bäume, die ihre Wurzeln in die Bäche tauchten, waren riesig. Äste so mächtig wie Baumstämme reckten sich in die Höhe.
Schweigend verließen Revyn und Yelanah das schöne Sumpfgebiet und kamen in einen Wald. Der Nebel begleitete sie wie ein stummer Gefährte. Dann lichteten sich auch die Bäume. Revyn erkannte einen riesigen Waldsee. Schilf umwucherte seine Ufer. Das Wasser war dunkelgrün und glatt wie eine Spiegelscheibe. Revyn stockte. Der See sah aus wie der, in dem er Yelanah zum ersten Mal erblickt hatte.
»Wo ist eigentlich Palagrin?«
Yelanah war stehen geblieben. »Bei den anderen …« Sie schloss die Augen und stieß einen Pfiff aus, so hell und klirrend, dass Revyn zusammenfuhr.
Die Erde erbebte. Yelanah legte den Kopf in den Nacken. Ein Drachenruf schallte durch den weißen Dunst. Einen Augenblick später stürmten ein Dutzend Drachen auf sie zu.
Wasser schäumte unter ihnen auf, Wellen ließen das Schilf vorund zurückwiegen und nur knapp vor Yelanah kamen sie zum Stillstand. Sie ließ Revyns Schwert zu Boden sinken und streckte die Hände aus. Die Drachen stupsten Yelanah mit der Schnauze an, strichen ihr um die Schultern und ließen ihr Haar in ihren Atemwogen wehen. Einem nach dem anderen streichelte sie den Hals, dann schmiegte sie sich an ihre Köpfe. Einer der Drachen hob sie auf den Rücken, nachdem Yelanah das Schwert wieder an sich
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