Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
Vom Netzwerk:
keine Angst mehr vor den Haradonen zu haben und können Holz beschaffen, sooft wir wollen. Ich weiß nur nicht, an welcher Stelle wir graben sollen.«
    Da stand Magaura auf und lief durch die Gänge. Er folgte ihr und wunderte sich, wie sicher sie ihren Weg fand. Bald schon kannte sich Alasar selbst nicht mehr genau aus. Aber Magaura schien zu wissen, wohin sie ihn führte. Schließlich blieb sie vor einer niedrigen Wand stehen. Zu Alasars Erstaunen bestand sie aus Erde und nicht aus Gestein. »Magaura, woher -«
    Sie wehrte ab und lächelte mit einer Rätselhaftigkeit, die Alasar ganz und gar nicht gefiel. »Du weißt doch, wie gern ich hier rumlaufe.« Dann stieg sie auf die Zehenspitzen und umarmte ihn zum Abschied. Summend verschwand sie in der Dunkelheit und ließ Alasar verdutzt zurück.
     
    Es war kein gutes Gefühl, dass Magaura sich besser auskannte als er selbst. Trotzdem - diese Stelle war perfekt. Die Erde war feucht und nicht besonders fest. Wenn man einen Weg nach Norden graben konnte, dann hier. Alasars Entschluss stand fest.
    Eines Abends nach dem Essen kletterte er auf den Felsvorsprung der Schlafhalle. Knapp zweihundert Kinder blickten zu ihm auf.
    »Hört mir zu!«, rief Alasar und hob die Hände. »Ich habe euch etwas zu sagen. Wie ihr wisst, sind unsere Holzvorräte klein. Wir können hier kaum noch sehen, so sparsam müssen wir sein - und es ist gefährlich, jeden Monat in den Wald zu reisen. Die Haradonen besetzen unser Land. Ein Einziger von uns könnte alle verraten.
    Nein, für Holz können wir das nicht aufs Spiel setzen! Wir sind unter der Erde. Und hier wollen wir bleiben.« Er atmete tief ein. Erwartungsvoll hingen die Gefährten an seinen Lippen. »Wir müssen einen Tunnelgang bis zum Wald vorgraben, zwei Tagereisen weit.« Nun brach Lärm aus, und Alasar brauchte mehrere Augenblicke, ehe er der Aufregung Herr wurde.
    »Gewiss, es wird Monate, vielleicht Jahre dauern. Aber wir können es schaffen! Kein Ziel ist unerreichbar, wenn die Kraft, die Führung und die Vision da sind. Ihr seid die Kraft. Ich bin die Führung. Und hier - hier in unseren Köpfen - ist die Vision! Wollt ihr für immer in diesen Höhlen versteckt bleiben? Ich frage euch alle: Wollt ihr für immer Gefangene eurer Angst sein? Oder … oder wollt ihr euer eigenes Reich erobern? Wollt ihr euch stolz die Kinder der Höhlen nennen, die nicht unter der Erde leben, weil sie sich fürchten, sondern weil hier ihr Zuhause ist? Wollt ihr jetzt die Welt machen, wie sie euch gefällt? Ich sage, wir sind keine Gefangenen! Ich sage, wir werden heute das Volk, das wir sein könnten: die Höhlenkinder!«
    Jubel brach aus. Wie Alasar stießen die Kinder unter ihm die Fäuste in die Luft mit jedem Wort, das sie schrien. Die Gewölbe erbebten, dass Staub und Steinchen von der Decke rieselten, als die Rufe laut und dröhnend die Dunkelheit erfüllten: »Die Höhlenkinder! Die Höhlenkinder! Die Höhlenkinder …«
     
    Noch nie hatten die Kinder solchen Zusammenhalt gespürt wie nun, da die Bauarbeiten begannen. Tag und Nacht wurde in mehreren Schichten gegraben, ohne Pause. Es war schwere Arbeit. Die Erde war hart und von Felsbrocken durchsetzt, die unter viel Mühe ausgegraben werden mussten. Immer wieder wurden Tunnel angefangen, die irgendwann von undurchdringlichem Fels versperrt wurden, sodass alle Anstrengung umsonst gewesen war und sie an einer anderen Stelle wieder neu anfangen mussten.
    Alasar verstand es nach all den Fehlschlägen wieder und wieder, die Kinder zu ermutigen. Aber auch er selbst blieb nicht untätig, schuftete unermüdlich und grub und schaufelte so lange, bis er unter der Arbeit einschlief. Seine Arme und Beine wurden sehniger und kräftiger und er erinnerte immer mehr an einen mageren, dunklen Wolf.
    Dafür wurden die Tunnel merklich länger, bis die Kinder abends nicht mehr in die Schlafhöhlen zurückkehren konnten und neben den Grabungsstellen übernachteten. Der längste Tunnel erstreckte sich so weit nach Norden, dass man bereits eine Stunde zu seinem äußersten Rand laufen musste.
    Natürlich gingen die Bauarbeiten nicht annähernd so schnell voran, dass sie nie wieder auf gefährlichen Reisen Holz holen mussten. Ganze vier Mal wurden Gruppen ausgesandt, um Holz heranzuschaffen, bevor überhaupt einer der Gänge eine halbe Meile lang war. Alasar ging wegen Magaura nicht mehr mit, doch hörte er von den ausgesandten Kindern jedes Mal, dass sie Haradonen gesehen hatten. Immer waren vorausgeschickte

Weitere Kostenlose Bücher