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Das Drachentor

Titel: Das Drachentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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warten, bis Candula sie weckte, schlug sie die entgegengesetzte Richtung ein und lief fast die gesamte Mauerkrone von der westlichen Schlossseite bis zur östlichen entlang. Auf einem höher gelegenen Ausblick blieb sie stehen, legte die Hände auf die raue Mauer und blickte auf das unendliche Land. Das Schloss stand klein und verloren darin wie ein Schiff auf hoher See. Zum Horizont hin verblassten die Klippen und Hügel und Berge im Licht des anbrechenden Tages. Gelb und zartrosa, milchweiß und perlmuttblau warf der Himmel seine Schleier auf, um die Sonne willkommen zu heißen.
    Ardhes atmete tief und zitternd ein. Sie glaubte nicht nur den Duft der wilden Frühlingsblumen in sich aufzunehmen, sondern auch die Morgenkühle, die Feuchtigkeit des Steins unter ihren Handflächen, die Farben des Himmels, den scharfen Ostwind, das Leben, die Zukunft, die ganze, weite Zukunft.
    Ihre Mutter hatte recht gehabt. Sie, Ardhes, würde die Welt verändern. Sie würde einen Mann menschlichen Geblüts heiraten und mit ihm die Welt den Menschen schenken.
    Er wird die Tochter eines Elfenkönigs lieben, ihr in ihr Reich folgen und den Untergang eines ganzen Volkes herbeiführen. Nach ihm werden die Menschen siegreich sein und der Rest wird in Dunkelheit versinken …
    Es war so offensichtlich. Der Junge, den König Octaris so lange schon suchte, würde sie lieben, sie, die Tochter eines Elfenkönigs. Doch noch wusste niemand, dass sie es war, nicht einmal ihr Vater konnte es wissen. Sie würde das Geheimnis ihrer Zukunft hüten bis zu dem Tag, an dem sie ihn sah, den Jungen, den zu lieben ihr bestimmt war.
    »Revyn«, flüsterte sie, nur um zu sehen, wie der Klang ihr gefiel. »Revyn …« Irgendwo dort draußen, in der Ferne, befand er sich in diesem Augenblick.
    Sie war noch ein Kind und er auch, gewiss - aber die Zukunft würde kommen. So wie ihre Mutter es immer gewollt hatte. Und dann, wenn Jahre verstrichen waren … dann würde sie ihn lieben und den Sieg der Menschen über das Elfenvolk bringen.

Das dunkle Reich
    Es heißt: Auf, ab, auf, ab, und im Trab. Hügel rauf und Wolken ab .«
    »Hügel rauf und Wolken ab!«
    »Genau so. Das singst du schön, Magaura!«
    Magaura lächelte und tanzte noch einmal im Kreis, während sie trällerte:
    Komm mein Drache, reiten wir,
du bist doch das schönste Tier!
Heb mich hoch, ich halt mich fest,
dass du mich nicht fallen lässt!
Auf, ab, auf, ab,
und im Trab.
Hügel rauf und Wolken ab!
     
    »Das machst du ganz wunderbar!« Rahjel klatschte. Magaura hüpfte vor Freude und sang noch einmal, während sie ihren Holzdrachen über den Felsboden, die unebenen Wände und durch die Pfützen laufen ließ. Alasar beobachtete seine Schwester. Er und Rahjel saßen mit Tivam am Ufer eines kleinen unterirdischen Sees. Tivam war in den letzten Monaten mindestens doppelt so groß geworden. Das schwarze Haar auf seinem Kopf hatte sich zu kleinen Löckchen eingeringelt und ein Leuchten war in seinen Augen. Plappernd und quietschend, panschte er mit den Fingern im Wasser und turnte auf seinem Bruder herum.
    »Da hast du dir vielleicht was ausgedacht«, sagte Alasar zu Rahjel. »Magaura hört bestimmt bis zum nächsten Winter nicht mehr auf, es zu singen.« Wie zum Beweis sang Magaura noch ein bisschen lauter.
    »Magaura hat doch eine sehr hübsche Stimme … nicht wahr, Tivam?« Rahjel senkte den Blick und neckte seinen Bruder. Magaura sang diesmal nicht lauter, sondern drehte sich um und tat, als hätte sie es nicht gehört.
    »Tivam wird auch immer größer«, bemerkte Alasar. »Bald kann er laufen und sprechen und dann wird er richtig mit uns spielen können.«
    »Na, hörst du das, Tivam?« Rahjel hob den Kleinen hoch und strahlte ihn an. Die beiden Brüder sahen sich bereits sehr ähnlich. Die Gesichtszüge waren fein geschnitten, die Nasen für myrdhanische Verhältnisse ungewöhnlich schmal. Tivam hatte dieselben runden, schönen Augen wie Rahjel, umrahmt von langen Wimpern. Nur Rahjels Haare waren weder so rabenschwarz noch so lockig wie Tivams.
    »Bald werden wir zusammen durch die Höhlen streifen.«
    »Und auf Haradonen Jagd machen!«, fügte Alasar hinzu. Magaura warf ihm einen unbehaglichen Blick zu.
    »Na, kannst du schon ein Schwert halten, Tivam? Hier, ein Schwert, kannst du’s halten?« Rahjel zog das Schwert aus seinem Gürtel und gab den Griff in Tivams kleine Hände. Zusammen schwenkten sie es durch die Luft.
    Seit sie mit dem Holz zurückgekommen waren, trugen die ältesten Kinder

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