Das Drachentor
losbinden. Ihre Spannweite betrug stattliche sechs Meter.
»Der sieht gut aus«, sagte der jüngere Händler, schloss die Hand um das Maul des Drachen und hob seinen schlanken Kopf an, der etwas größer war als der Kopf eines Pferdes. »Wahrscheinlich noch sehr jung, gezähmt, aber ungeschult für Ritt und Kampf, auf dem Boden wie in der Luft.«
»Macht nichts«, sagte der ältere Händler. »Trainiert werden sie sowieso in Logond. Ja, der sieht gut aus. Lasst ihn ausprobier-«
In diesem Augenblick erklang ein lautes Krachen und Poltern am anderen Ende der Scheune. Die Händler, die Dorfobersten und Fangmeister Barim fuhren erschrocken herum: Einem der Lehrlinge war sein Drache durchgegangen. Das Tier stieß einen schrillen Ton aus und bäumte sich auf; der Lehrling versuchte, die Seile festzuziehen, die dem Drachen um den Hals gebunden waren, doch der Drache fegte den Jungen mit seinen spitzen Hörnern einfach zur Seite. Mit einem Aufschrei landete er im Stroh. Dann schnellte der Drache auf den Jungen zu, um ihn unter seinen Krallen zu begraben.
»Haltet ihn - halt!« Barim riss einen Dolch aus seinem Gürtel, blieb aber unentschlossen stehen. Die anderen Lehrlinge waren längst vor dem wilden Drachen geflohen. Der Junge im Stroh stieß einen kläglichen Schrei aus. Der Drache war fast über ihm - plötzlich sprang jemand vom Heuboden herab, direkt zwischen den Drachen und den Lehrling. Der Händler schnappte nach Luft.
Ein Junge in zerschlissenen Kleidern stand vor dem Drachen. Er hob die Arme und streckte ihm die offenen Handflächen entgegen. Der Drache scheute. Sein Schwanz fegte gefährlich durch die Luft. Der Junge machte einen kleinen Schritt auf ihn zu. Schließlich konnte er ihn berühren und er legte seine Hände an die Schläfen des Tieres. Leise murmelte er ihm Worte zu, die im trommelnden Regen untergingen. Der Drache starrte den Jungen finster an, doch schließlich stieß er ein Schnauben aus und mit zögernder, trauriger Langsamkeit wandte er den Kopf ab.
Der Händler hatte alles mit offenem Mund beobachtet - und die Dorfobersten rings um ihn ebenfalls. »Wer ist der Kerl?«, fragte er, während der Junge den Drachen in seinen Stall zurückführte.
Barim blinzelte ungläubig. »Ähm. Das ist … das ist doch bloß …«
»Ruf ihn her«, befahl der Händler.
»Revyn!«, rief Barim mit rauer Stimme. Er räusperte sich. »Revyn, komm mal her!« Der Junge schloss den Stall hinter dem Drachen, dann wischte er sich die Hände am Wams ab und kam auf die Männer zu, ohne die Lehrlinge eines Blickes zu würdigen, die sich endlich um ihren verletzten Kameraden scharten.
Der Händler musterte ihn aus schmalen Augen. Der Junge kam mit raschen, leichten Schritten näher, doch er hatte den Kopf gesenkt, und sein schmales Gesicht verschwand beinahe unter den hellbraunen Zöpfen, die ihm bis in den Nacken reichten. Ein paar Meter von den Männern entfernt blieb er stehen und beäugte sie so misstrauisch, als wollten sie ihn dafür schelten, den Lehrling gerettet zu haben.
»Also, was hast du da gerade …«, begann Barim, doch der Händler drängte sich vor ihn. Einen Moment lang betrachtete er den Jungen eingehend. Er war noch nicht besonders groß und alles andere als kräftig, doch an seinen Augen konnte man ablesen, dass er schon lange kein Kind mehr war. Sie waren von Ernst und Gleichgültigkeit erfüllt. Fast einer Traurigkeit.
»Wie ist dein Name?«, fragte der Händler.
»Sein Name ist Revyn«, antwortete Barim für ihn. »Er ist … ja, er ist bloß ein Stallknecht hier, der die Gehege sauber macht. Sag, was hast du dir dabei gedacht? Der Drache hätte dich töten können!«
»Das war ausgesprochen mutig von dir, junger Mann«, mischte sich der Händler ein. Ein kleines Funkeln lag in seinem Blick. »Aber abgesehen von deinem Mut scheinst du noch ganz andere Fähigkeiten zu besitzen. Verbringst du denn viel Zeit mit den Drachen?«
»Wie sollte er!« Barim schien noch immer vollkommen entgeistert. »Er hat nichts mit meinen Tieren zu tun. Er mistet bloß die Ställe aus, mehr nicht.«
Ein rätselhaftes Lächeln lag auf dem Gesicht des Händlers. »Wie es aussieht, schon. Hör zu, Revyn: Ich bin nicht nur Drachenhändler, ich gehöre auch der Drachengarde von Logond an. Weißt du, wir suchen ständig nach begabten, jungen …«
Der Junge machte einen Schritt zurück. Seine Hände waren zu Fäusten geballt. »Seid Ihr ein Soldat?«, fragte er scharf.
Der Händler schwieg verdutzt. Es war das
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