Das Drachentor
hellblau, ohne eine Wolke. In der Ferne kräuselte der Wind die Wipfel der Bäume. Die hohen Wiesen rauschten und wiegten sich und der Duft von Sommer hing in der Luft wie ein zarter Kuss. Revyn war glücklich. Ohne sich umdrehen zu müssen, wusste er, dass seine Mutter hinter ihm im Haus am Webstuhl saß und so glücklich war wie er. Erleichterung erfüllte ihn. Dann löste sich eine Gestalt aus dem Grün der Wiesen. Sie strich mit den Händen durch die Gräser und blickte Revyn an.
»Miran! Miran!«, rief Revyn und winkte der Gestalt zu. Der junge Mann lief ihm entgegen. Plötzlich tat sich vor seinen Füßen der Boden auf. Ein tiefes Loch klaffte zwischen Revyn und seinem Bruder. Es war ein Grab. Ein grässliches Geräusch erklang, schrill, boshaft, das Geräusch eines Schürhakens, der zuschlägt, immer wieder. Miran fiel ins Grab und Blut spritzte aus seinen hellen Haaren. »Nein!«
Es klopfte an der Tür. Erschrocken fuhr Revyn auf. Dunkelheit umgab ihn und der Regen trommelte noch immer leise auf das Dach. Wieder hämmerte es an der Tür. »Mach auf!«, rief jemand. Revyn fuhr sich mit den Händen über die Augen und die Zöpfe, dann stand er auf, schlüpfte in seine noch feuchte Hose und ging zur Tür. Er öffnete einen Spalt.
Einer von Barims Lehrlingen stand vor der Hütte. Er hatte die Schultern fast bis zu seinen Ohren hochgezogen und zitterte vor Kälte und Nässe. »Mann, wieso machst du nicht auf?«
»Ich habe aufgemacht.«
»Ja, nachdem ich mir fast die Faust an deiner Tür blau geschlagen habe! Los, du sollst zu Meister Barim kommen.«
Revyn war nicht allzu überrascht. Wahrscheinlich würde Barim ihn jetzt für die Frechheit im Drachenstall anschreien und ihm kündigen. Gelassen ging Revyn zurück und klaubte seine Kleider vom Boden auf. Er zog sich das Hemd versehentlich falsch herum an und schnürte sein Wams nicht zu, aber für das, was ihn erwartete, musste er sich schließlich nicht herausputzen. Dann folgte er dem Lehrling ins Dorf.
Es regnete schon leichter, sodass sie bereits den halben Weg zurückgelegt hatten, ehe Revyn pitschnass war. Mürrisch verschränkte er die Arme vor der Brust. Der Lehrling drehte sich im Gehen zu ihm um. »Übrigens danke, dass du Corin gerettet hast.« Revyn nickte knapp. »Er hat drei oder vier gebrochene Rippen. Erst hat er rumgeheult, aber jetzt … tja, jetzt ist er überaus glücklich über seine Verletzung.«
Revyn warf ihm einen Blick zu. Die Lichter aus den Häusern und Hütten umrissen das Profil des Jungen. »Wieso?«
»Warum wohl - Verletzte werden nicht in die Armee eingezogen, deshalb.«
Revyn machte ein so verständnisloses Gesicht, dass der Lehrling abwinkte. »Du wirst gleich sehen.«
Sie erreichten das Haus des Fangmeisters, als aus einer anderen Richtung eine ganze Gruppe junger Männer zu ihnen stieß. Sie waren ebenfalls auf dem Weg zu Barim und allmählich erschien das Ganze Revyn doch seltsam. Wieso sollte denn das halbe Dorf versammelt sein, wenn Barim seine Wut an ihm ausließ?
Bald kamen immer mehr Männer im Haus des Fangmeisters an und drängten sich mit neugierigen, besorgten oder ratlosen Gesichtern durch die Tür. In der Stube saßen Barim, die Dorfobersten und die Soldaten. Erwartungsvolles Murmeln erfüllte den Raum, der für so viele Menschen nicht geschaffen war. Revyn wurde mehrmals auf die Füße getreten.
Schließlich erhob sich der Händler. Er wartete das Getuschel einen Augenblick ab, ehe er zu sprechen begann:
»Seid gegrüßt. Ich bin Meister Morok von Logond, der Hauptstadt Haradons. Vielleicht habt ihr von Logond gehört. Keine andere Stadt auf der Welt hat eine so große und gut geschulte Drachengarde. Bei uns werden die besten Reitdrachen und Winddrachen der Armee ausgebildet und für den Kampf trainiert. Aber« - der Händler machte eine Pause - »aber nicht nur Drachen werden in Logond ausgebildet. Auch Soldaten. Und Drachenkrieger.«
Nun war es in der Stube still wie in einem Grab. Der alte Soldat musterte die jungen Männer aus funkelnden Augen; es war derselbe Blick, mit dem er die Drachen abgeschätzt hatte. »Ich habe gehört, Neuigkeiten verbreiten sich hier rasch. Dann nehme ich an, ihr alle wisst, welche Gefahr unserem Land droht?«
Weil niemand etwas sagte, räusperte sich einer der Dorfobersten: »Nein.«
»Hm! Also doch nicht«, murmelte Meister Morok und schritt vor dem Feuer auf und ab. »Dann will ich euch also informieren, Männer von Haradon. Es herrscht Krieg! König Morgwyn von
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