Das Drachentor
unersättlich immer weiter in die Wälder hinein, und seit dem Sieg über Myrdhan vor neun Jahren hatte sich Haradon auch nach Osten hin ausgeweitet. Kein Königreich der Menschen war so groß, und ein Elfenreich sowieso nicht. Zudem war Haradon von der Natur reich beschenkt: Der Boden war feucht und fruchtbar, in den Wäldern fanden sich nicht nur kostbares Holz und Wild, sondern auch die sagenumwobenen Drachen. Viele Dörfer lebten ausschließlich vom Drachenfang, denn die edlen Tiere ließen sich nicht züchten und mussten in der Wildnis gefangen werden.
Doch mochte Haradon auch das mächtigste und prächtigste Reich auf Erden sein - im Augenblick regnete es in Strömen, und die Soldaten, die durch das Land reisten, bekamen von seiner Herrlichkeit nur wenig zu spüren.
Mürrisch hockten die Männer auf ihren Pferden, die dunklen Umhänge um Kopf und Schultern geschlungen, dass nur die müden Augen zu sehen waren. In den Wäldern war der Regen noch nicht so stark gewesen, doch hier draußen prasselte er auf sie herab wie abertausend winzige Perlen. Auch die beiden Reiter auf den Drachen, die an der Spitze des Zuges ritten, konnten den Unannehmlichkeiten eines gewöhnlichen Soldaten diesmal nicht entgehen und waren wie die restlichen Männer bis auf die Knochen durchnässt. Das Wasser troff von den Drachen herab, verdunkelte ihr silbrig grünes Fell und lief ihnen in kitzelnden Rinnsalen unter die festgebundenen Flügel, sodass sie sie immer wieder zu spreizen versuchten. Doch die Drachengurte saßen fest. Sie erreichten nur, dass die Reiter grinsten, wenn es unter ihnen zuckte. Glücklicherweise war ihr Reiseziel, das Dorf, schon in Sicht - es lag nahe am Waldrand, umgeben von sanften Wiesen und Feldern. Aus den Kaminen der niedrigen Hütten stieg Rauch und schlängelte sich wie Nebel durch den Regen.
Die Kinder des Dorfes sammelten sich trotz des schlechten Wetters am Tor und erwarteten die Soldaten mit neugierigen Blicken. Schließlich traten auch die Dorfobersten hinaus, um die Reisenden zu empfangen. Die Reiter erreichten das Tor, und die Kinder wichen zur Seite, um Platz zu machen. Es waren fünf Soldaten auf Pferden und zwei Händler, die auf großen, mit Zierkappen geschmückten Drachen ritten.
Die Reisenden wurden von den Dorfobersten willkommen geheißen und nach einem kurzen Wortwechsel zu den Drachengehegen geführt.
»Seid gegrüßt!« Der Fangmeister kam der Gruppe entgegengeeilt, als sie die langen Scheunen betraten. Der Regen trommelte so laut auf das Dach, dass der Mann rufen musste, um gehört zu werden. Unter schwerfälligen Verbeugungen erklärte er den Drachenhändlern: »Ich bin Barim, der Meister der Drachenfänger hier. Es ist mir eine Ehre, meine Herren.«
»Die Ehre ist auf unserer Seite«, erwiderte einer der Händler. Es war ein älterer Mann mit hellblondem Haar, das seinen sonnengebräunten Schädel fast schon verlassen hatte. Weder seine Kleidung noch der Zierpanzer seines Drachen hob ihn von den anderen ab, und doch erriet ein jeder sofort, dass er der Anführer der Gruppe war. »Wir kommen aus der Hauptstadt Logond und wollen uns Eure Drachen ansehen. Wie mir scheint, ist die Nachricht unseres Eintreffens schneller gewesen als unsere Drachen und Rösser - alles wirkt hier wie für uns vorbereitet.«
Barim lächelte und wippte leicht auf den Füßen. »Nachrichten verbreiten sich bei uns schnell.«
»Ach, tatsächlich?«, murmelte der Händler. »Nun, das werden wir beim Abendessen sicher genauer feststellen. Aber zuerst zu den Drachen. Wie ich hörte, gibt es weit und breit keine besseren.«
»Gezähmt, geschult oder temperamentvoll wie wildes Wasser. Für den rechten Preis haben wir jeden Drachen!«
Der ältere Händler drehte sich lächelnd zu seinem Gefährten um. »Hört Ihr, Meister Folchs, für den rechten Preis! Das wird Eure Aufgabe sein, Kamerad.«
»Nun, wenn ich Euch bitten darf - hier sind unsere Tiere.« Barim wies die Scheune hinauf.
Gemeinsam gingen sie an den Ställen vorbei. Mehrere Jungen, die die Schüler des Drachenfängers sein mussten, standen schon mit den Tieren bereit; jeder hielt zwei an den Zügeln, um sie vorzuführen. Die beiden Händler machten sich daran, die Drachen zu betrachten, ihre flachen, dreigeteilten Krallen zu überprüfen, die sieben langen, elfenbeinfarbenen Hörner am Hinterkopf abzutasten und nach den Eigenschaften der Tiere zu fragen. Bei einem großen männlichen Drachen blieben sie lange stehen und ließen sogar die Flügel
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