Das Drachentor
wahres Durcheinander. Revyn, der auf Palagrin ritt, half überall, wo er konnte; er brachte Drachen zurück, die mitsamt ihrem Reiter hinunter zu den Soldatenbaracken galoppiert waren, erteilte Ratschläge und gab Anweisungen und tat sein Bestes, die nervösen Drachen zu beruhigen. Dann kehrte endlich Ruhe ein. Die Krieger standen in Reih und Glied wie geplant. Es war ein denkwürdiger Anblick: über dreihundert herausgeputzte Krieger auf ihren Drachen. Ein einziger Drache war schon beeindruckend, aber so viele auf einem Platz zu sehen, dicht gedrängt, war überwältigend.
Es dauerte nicht lange, da erklangen von der unteren Stadt her tiefe Hornrufe. Die Drachenkrieger verstummten, strafften die Schultern und umklammerten die Zügel fester. Trommeln schwollen in der Ferne an. Revyn musste an die Trommeln denken, die er vor der Hinrichtung des Elfen vor einigen Wochen gehört hatte, obwohl es jetzt ganz anders klang - statt eines dumpfen Hämmerns war das Trommellied nun schnell und leicht, wie das Getrappel einer Drachengarde. Aus der Ferne drang der dröhnende Jubel der Fußsoldaten zum Stadtteil der Drachenkrieger herauf. Gebannt blickte Revyn zur Treppe, wo der König jeden Moment erscheinen würde.
Am Treppenabsatz tauchte ein dunkelhaariger Kopf auf. Daneben ein blonder. Und noch ein blonder. Es waren Mädchen. Sie kamen mit Körben, aus denen sie bunte Blütenblätter verstreuten, die Treppen hochgeschritten. Dann erschienen zu beiden Seiten die Trommler, Flötenspieler und Trompeter. Sie waren in gelbe Gewänder gekleidet und hatten große Wappen auf der Brust. Hinter ihnen kamen mehr als zwanzig gelbe Fahnen in Sicht, die von gleichfarbig gekleideten Pagen geschwenkt wurden. Die Blumenmädchen schritten gerade an Revyn vorbei, als am Treppenabsatz ein Rittertrupp auf Drachen erschien. Die Ritter trugen Schulterpanzer und leuchtend gelbe Tuniken, dazu Schwerter in silbernen Scheiden, Dolche und Lanzen. Noch beeindruckender als die Männer fand Revyn allerdings ihre Drachen: Es waren elegante, große Tiere mit Fell, das im Sonnenlicht schimmerte wie Fischhaut, mit Schutzpanzern aus Bronze auf Köpfen und Schwänzen. Alles an den Rittern und ihren Drachen funkelte und schillerte, als seien sie Wesen aus Licht. Hinter dem langen Vormarsch aus Blumenmädchen, Spielern, Pagen und Rittern erschien der König von Haradon.
Er ritt auf dem prächtigsten aller Drachen - wie ein Tänzer schritt er dahin und war gewaltig, sodass der König höher saß als all seine Ritter. Mit Rubinen besetzte Panzer bedeckten den Kopf des Tieres. Eine kunstvoll gefertigte Goldklaue war über die Spitze des langen Mittelhorns gesteckt und kleinere, gebogene Goldaufsätze schmückten die anderen Kopfhörner des Drachen.
Der König selbst trug vergleichsweise schlichte Schulterpanzer, einen dünnen Brustpanzer mit dem haradonischen Wappen und einen dunkelroten Umhang, den er locker zurückgeschlagen hatte.
Er war ein Mann in den späten Vierzigern und durch seine blonden Haare zogen sich erste schneeweiße Strähnen. Sein Gesicht war sonnengebräunt, mit tiefen, nachdenklichen Falten um die Augen. Ein gestutzter Bart umgab den leicht schiefen Mund. Die Drachenkrieger, an denen er vorbeiritt, zogen die Zügel an, sodass ihre Drachen die Köpfe neigten, und verbeugten sich. Auch Revyn verneigte sich, als der König ihn passierte, doch Palagrin zwang er nicht dazu. Der König bemerkte es auch gar nicht, er blickte nur gelegentlich in die Reihen der Drachenkrieger.
Hinter dem König folgte wieder eine Ritterschar, diesmal zu Pferde. Ein leises Raunen ging durch die Menge der Drachenkrieger. »Da, seht!«, murmelte jemand hinter Revyn. »Ritter aus Awrahell, doch es sind alles Menschen!«
Revyn beäugte die Ritter angestrengt. Es stimmte: Unter ihnen war kein Elf, obwohl ihr Königreich doch ursprünglich elfisch war. In der Mitte der Ritter wurde eine große Sänfte von mehreren Pagen getragen. Gelbe und grüne Samtvorhänge schützten das Innere vor neugierigen Blicken, und Revyn erkannte nur flüchtig ein paar Gestalten, ehe das Gefolge an ihm vorübergezogen war.
Vor dem Eingangstor des Rathauses stiegen der König und sein Geleit von den Drachen und die versammelten Ratsmitglieder verneigten sich tief. Revyn hörte nicht, was die Männer besprachen, doch er sah, dass der König kleiner war, als er auf seinem Drachen gewirkt hatte.
Auch die Sänfte wurde abgestellt. Mehrere Frauen traten heraus - die meisten mussten Zofen sein, die
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