Das Drachentor
die Königin und ihre Tochter begleiteten. Auch sie wurden von den Ratsmitgliedern empfangen. Doch noch bevor Revyn mehr von ihnen hätte sehen können, schritt der königliche Besuch durch die hohen Türen und entschwand den Blicken der Drachenkrieger.
Der Armreif
An einem nebligen Morgen zwei Wochen später, als Revyn früher aufgestanden war, um mit Palagrin auszureiten, sah er sie das erste Mal. In der Dämmerung schlich er sich aus dem Stadtteil der Drachenkrieger, durchquerte das Straßenlabyrinth der unteren Viertel und ritt aus den offenen Stadttoren über die Lichtung. Dichter Dunst kroch aus der Erde und zögerte den Tagesanbruch heraus.
Eine Weile galoppierte Revyn am Wald entlang. Die frische Luft erfüllte ihn, klärte seinen Verstand. Er versuchte, an nichts zu denken. Vor allem versuchte er, nicht an das Turnier zu denken, das heute zu Ehren der königlichen Gäste stattfinden sollte. Auch er musste antreten, und zwar mit drei wilden Reitdrachen, die er zur Unterhaltung des Publikums innerhalb des aufgebauten Turnierplatzes zähmen sollte.
Revyn seufzte leise. Wie so oft in den vergangenen Tagen fragte er sich, ob er sich dem Befehl von Meister Morok, der das Turnier veranstaltete, nicht einfach widersetzen sollte. Aber dafür war es wahrscheinlich zu spät. Und in Wirklichkeit hätte er sich auch nicht getraut. Auch wenn er es nie zugegeben hätte, fürchtete er sich vor Meister Morok mehr als vor drei tobenden Drachen - bei ihnen wusste er wenigstens, was ihn erwartete.
Er ließ das Zaumzeug lockerer und konzentrierte sich ausschließlich auf die Bewegungen von Palagrin.
In der Ferne löste sich eine Gestalt aus dem Nebel. Revyn brachte Palagrin verwundert zum Stehen, als sie näher kam.
Es war ein Mädchen. Sie stand reglos am Waldrand, der Saum ihres gelben Kleides war vom feuchten Gras verdunkelt, und das lange dunkelblonde Haar, dessen vordere Strähnen geflochten über die Schultern fielen, hatte sich in der feuchten Luft leicht gekräuselt. In den Fingern drehte sie eine blaue Wildblume.
»Du bist ein Drachenkrieger von Logond, nicht wahr? Kannst du mich mit in die Stadt nehmen?« Sie blickte ohne Scheu zu Revyn auf. Revyn runzelte die Stirn. Ihm war noch nie jemand begegnet, den seine Uniform so wenig zu beeindrucken schien wie dieses Mädchen. Und etwas an ihrem Gesicht war sonderbar. Die dunklen Augen waren so … unbewegt.
»Wer bist du?«, fragte er patzig.
»Mein Name ist Ardhes. Und du?«
»Ich heiße Revyn.« Das Mädchen starrte ihn schweigend an, bis er sich räusperte und fortfuhr: »Natürlich kann ich dich nach Logond mitnehmen. Aber ich bin schon spät dran - wir sollten uns beeilen.«
Er sprang von Palagrins Rücken und bat den Drachen murmelnd, dem Mädchen beim Aufsteigen zu helfen.
Ein wenig benommen trat Ardhes an den Drachen heran und setzte ihren Fuß auf seinen Schwanz wie auf eine Stufe. Ihr schien nicht einmal aufzufallen, wie sonderbar es war, dass Revyn keine Schlaufe brauchte, um den Drachen dazu zu bringen, sie auf seinen Rücken zu heben. Er hatte sich in den vergangenen Monaten so daran gewöhnt, bewundert zu werden, dass die Gleichgültigkeit des Mädchens ihn verstörte.
Mit Schwung hob Palagrin sie hoch. Sie öffnete den Mund zu einem überraschten Laut und fiel beinahe, als Revyn sie gerade noch festhielt und sie auf den Drachenrücken schob. »Geht’s?«, fragte er lächelnd und schwang sich hinter sie. Mit unsicheren Fingern strich sie sich das hochgerutschte Kleid wieder über ihren Unterrock. Palagrin setzte sich in Bewegung und bahnte eine Schneise durch das hohe Gras.
»Gehst du in Logond einkaufen?«, fragte Revyn. »Dann musst du aufpassen, dass du dich in der Unterstadt nicht verläufst, die ist riesig. Und was es alles zu kaufen gibt - ich glaube manchmal, jeder Gegenstand und jeder Mensch dieser Welt ist mindestens einmal im Leben in Logond.«
Ardhes nickte geistesabwesend. »Ich habe gehört, die Königin von Awrahell und ihre Tochter sind gerade zu Besuch.«
»Ja, ich habe sie gesehen.«
»Tatsächlich?« Sie warf einen flüchtigen Blick zu ihm zurück.
»Das heißt - nur halb. Weil ich ja ein Drachenkrieger bin, war ich beim Empfang des königlichen Gefolges dabei. Und ganz kurz konnte ich auch die Königin sehen.«
»Ich habe sie ebenfalls gesehen, weißt du«, sagte das Mädchen langsam.
»Wirklich?«
»Wie alt bist du?«, fragte sie ihn unvermittelt.
Revyn versuchte einen Augenblick lang vergeblich, zu begreifen, wie sie
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