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Das dritte Ohr

Das dritte Ohr

Titel: Das dritte Ohr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Curt Siodmak
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mich zu, das dunkle Haar in theatralischem Schwung über der linken Schulter, die langen Beine in nach unten weiter werdenden Hosen. Sie war ganz in Schwarz, was ihr ein sehr schlankes Aussehen verlieh.
    „Laufen Sie mir doch nicht davon, Dr. Bolt!“ Sie blieb kurz vor mir stehen. Außer Atem überzeugte sie sich, indem ihre Augen von meinem Gesicht zu den Pan Am-Anhängern auf meinem Gepäck und wieder zurück wanderten, daß ich der Mann war, den sie suchte.
    „Kennen Sie mich?“ fragte ich aus meiner nun doch zerstörten Einsamkeit heraus.
    „Nein“, sagte sie lachend. „Ich hatte nur einen Zeitungsausschnitt. Ich habe nach einem Mann mit Bart Ausschau gehalten.“
    „Ich habe nie einen Bart getragen“, sagte ich, belustigt über ihre atemlose Heftigkeit. Sie hatte den Trick heraus, einem Mann so in die Augen zu blicken, als wäre er der einzige Mann auf der Welt.
    „Ich habe am Ausgang für Fluggäste gewartet und nach einem Mann mit gelocktem braunem Bart Ausschau gehalten, bis keiner mehr herauskam. Glauben Sie mir, ich habe mich lächerlich gemacht, als ich drei Fremde ansprach! Einer von Ihnen lud mich zu einem Drink ein.“
    Sie lachte guttural, und es wunderte mich, daß sie nicht von allen dreien eingeladen worden war.
    „Warum der Bart?“
    „Das will ich Ihnen sagen – auf diesem Zeitungsausschnitt waren zwei Männer ohne und einer mit Bart abgebildet. Natürlich suchte ich mir den mit Bart aus.“ Sie zeigte mir einen zerknitterten Zeitungsausschnitt aus der Los Angeles Times. Es war ein im UCLA-Computerzentrum vor einer Kontrolltafel aufgenommenes Foto.
    „Der Mann mit dem Bart ist Dr. Haskel, und der da links, das bin ich, aber jede Ähnlichkeit ist rein zufällig“, sagte ich. „Die Namen sind vertauscht worden.“ Sie entschuldigte sich. „Da ich ja nicht wußte, wie Sie aussehen, konnte ich Sie eben nicht finden.“
    „Das ist logisch.“
    Sie versuchte mir mit der impulsiven, gefälligen Höflichkeit der Jugend einem Mann mittleren Alters gegenüber, der vielleicht körperlicher Hilfe bedurfte, meinen großen Koffer zu entreißen. Ihre Geste betonte den klaffenden Altersunterschied zwischen uns.
    „Vielen Dank, das schaffe ich schon allein“, sagte ich, aber sie entwand mir den kleinen Koffer.
    Sie ging vor mir die Treppe hinunter und wandte sich dabei halb um, um mich zu mustern. Ihre Haltung vermittelte eine harmlose Heldenverehrung, wie sie mir bei Krankenschwestern und Studentinnen oft aufgefallen war.
    „Nachdem Sie mich nun erwischt haben, könnten Sie mir eigentlich sagen, wer Sie sind.“
    „O, Verzeihung.“ Sie sprach mit einem schwedischen oder dänischen Akzent. „Astrid, Astrid Gunnar, Dr. Heinemanns Assistentin.“
    Heinemann, der deutsche Austauschprofessor, der mich veranlaßt hatte, nach Hamburg zu kommen, sollte in meinem Appartment wohnen, während ich in sein Haus zog, ein Pfändertausch in einem Spiel der Bequemlichkeit.
    „Ich habe keine hübsche Assistentin zurückgelassen, um ihn in Los Angelos begrüßen zu lassen wie Dr. Heinemann hier“, sagte ich.
    Sie hatte eine etwas unsymmetrische Stupsnase, was ihren Zügen einen lustigen Ausdruck verlieh. Ihr Gesicht, dessen rechte Seite von der Schattenlinie ihres dichten schwarzen Haars eingefaßt wurde, war nicht schön, aber lebhaft. Ihre Haut besaß den durchsichtigen Schimmer skandinavischer Mädchen, die nicht allzu stark der Sonne ausgesetzt sind. Sie war bis auf die Augen und eine blasse Farbe auf den Lippen ungeschminkt. Ihr Kinn wich leicht zurück, wodurch sie noch jünger wirkte. Es wäre mir schwer gefallen, sie einen Tag später, in einer Gruppe wiederzuerkennen; sie war unauffällig, eine der vielen jungen Frauen, die an Universitäten und Colleges ein- und ausgehen oder, in weiße Schwesterntracht gehüllt, anonym durch Krankenhauskorridore huschen.
    „Machen Sie sich über Joseph keine Sorgen. Er kennt mehr Leute in Kalifornien als in Hamburg. Er schreibt allen Briefe – hunderte, tausende … Und ich muß sie alle für ihn tippen!“
    Sie warf mir einen schnellen flirtenden Blick zu und schüttelte ihr Haar noch näher an ihr linkes Auge, als wollte sie es hinter dem dichten schwarzen Vorhang verstecken. „Nicht daß es mir viel ausmacht, aber da er sein IAG noch nicht hatte, schrieb er, bis es ihm schließlich gelang, eine Einladung zu bekommen.“
    „IAG?“
    „In Amerika gewesen“, erklärte sie und preßte die Lippen schnippisch zusammen. „Europa ist ein Nest, Amerika eine

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