Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
erinnern.«
»Am späten Nachmittag?«
»Erinnere mich nicht.«
»Wann haben Sie mit Sandra gesprochen?«
»Erinnere mich nicht.«
»Irgendwann am Abend?«
»Nein.«
»In der Nacht?«
»Nein.«
»Wann haben Sie das letzte Mal mit ihr gesprochen?«
»Erinnere mich nicht.«
»Versuchen Sie sich zu erinnern.«
Darauf antwortete Mars nicht. Während der Vernehmung hatte er nicht ein einziges Mal den Kopf gehoben. Er schien auf keine Frage zu reagieren.
»Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihren Kindern gesprochen?«
Das war keine angenehme Frage. Verhörleiter war keine angenehme Arbeit. Halders war nicht der Beste, aber auch nicht der Schlechteste. Ihm fiel das Drumherumreden schwer, die Besten kreisten den Verhörten geschickt immer enger ein, näher und immer näher, drangen im Reden zum Kern vor, wenn es einen Kern gab. Manchmal gab es nur eine Schale, wie bei einer Zwiebel.
»Erinnere mich nicht«, sagte Mars.
Scheiße, war der Kerl auf dem Weg in eine Psychose?
»Letzte Woche?«
Mars antwortete nicht.
»Warum haben Sie nicht mit Sandra gesprochen?«
»Kann mich nicht erinnern.«
»Hatten Sie Streit?«
»Ja.«
»Worüber haben Sie sich gestritten?«
»Hab ich vergessen.«
»Ging es um Ihren Job?«
»Ja.«
»Was war das Problem?«
»Hab ich vergessen.«
»Waren Sie zu häufig nicht zu Hause?«
»Ja.«
»War das etwas Neues für Sie beide?«
»Nein.«
»Worüber haben Sie sich diesmal gestritten?«
»Hab ich vergessen.«
»Was ist passiert?«
»Hab ich vergessen.«
»Was ist diesmal passiert?«
»Erinnere mich nicht.«
»Hat Sandra irgendetwas getan?«
»Nein.«
»Haben Sie etwas getan?«
»Nein.«
»Was war es dann?«
»Hab ich vergessen.«
»Hat Ihnen eine andere Person etwas getan?«
»Erinnere mich nicht.«
»Wer war es?«
Mars antwortete nicht. Jetzt hob er den Kopf. Sein Blick war wieder da. Die Chance ist vorbei, dachte Halders.
»Wann kann ich nach Hause?«, fragte Mars.
»Wenn das Gespräch beendet ist«, sagte Halders.
»Danke.«
»Aber Sie können noch nicht in das Haus zurückkehren, nicht für immer. Es ist ein Tatort.«
»Das weiß ich. Ich gehe zu meiner Schwester. In das Haus werde ich nie wieder zurückkehren.«
»Möchten Sie, dass jemand von uns Sie zu einem kurzen Besuch begleitet?«
»Warum?«
»Sie könnten uns helfen festzustellen, was fehlt.«
»Was fehlt?«
Halders nickte.
»Was sollte fehlen?«, fragte Mars.
»Genau das festzustellen sollen Sie uns doch helfen.«
»Woher soll ich das wissen?«
Du bist der Einzige, dachte Halders, nur du bist übrig, der sprechen kann.
»Ist Greta bei meiner Schwester?«, fragte Mars.
»Ich weiß es nicht. Aber bald.«
Mars verstummte. Sein Blick war wieder woanders.
»Haben Sie es getan?«, fragte Halders.
»Nein.«
8
Christian Runstigs Handgelenk war nicht gebrochen. Es musste eine Eisschicht gewesen sein, deren Knacken Winter gehört hatte, als er Runstig mit dem Pistolenlauf gegen den Arm schlug. Der Mann hatte über Schmerzen in der Seite geklagt, aber der Arzt, der mit im Krankenwagen gewesen war, hatte keine schwereren Verletzungen festgestellt, nur einige blaue Flecken an den Stellen, wo Winter Runstig getreten hatte, als der auf dem Eis lag.
Der Mann war bereit zum Verhör.
»Was machen wir jetzt mit der Anzeige?«, hatte Gerda Hoffner auf dem Weg zurück in die Stadt gefragt.
»Die ziehen wir natürlich durch«, hatte Winter geantwortet.
Das war offenbar eine dumme Frage, hatte Hoffner gedacht. Vielleicht verstehe ich es erst später.
Runstig saß Winter im toten Licht des unangenehmsten Verhörraumes gegenüber. In der neuen Welt war gespart worden, derselbe Raum im selben Keller. Das war eine Herausforderung für alle.
Die Videokamera lief, das Tonbandgerät auch.
Winter ging langsam die Formalitäten durch. Runstigs Identität war kein Problem, auch wenn er im Krankenwagen keine Personalien angegeben hatte. Er hatte nicht mehr über Schmerzen geklagt. Er hatte nichts gefragt. Er machte den Eindruck, als wüsste er schon, weswegen er festgenommen worden war.
Als ob schon alles vorbei wäre, dachte Winter, während er Runstig betrachtete, es ist vorbei, ehe es angefangen hat. Mein schlimmster Fall, mein schnellster Fall.
Runstig hatte ein normales nordisches Aussehen – blond und blaue Augen, etwa einsfünfundachtzig groß, vernünftige nordische Winterkleidung, winterfeste Schuhe, derberes Schuhwerk als Winter. Seine Augen fokussierten nicht, aber so war das bei jedem,
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