Das dunkle Haus: Kriminalroman (Ein Erik-Winter-Krimi) (German Edition)
jedenfalls nicht, lass ihn um die Insel rennen, sollte er sich doch den Schädel an den Felsen oder auf dem Eis einschlagen.
Der Bulle blieb stehen. Gleich würde er anfangen, mit seiner Legimitation vor den Bäumen zu wedeln. Haben Sie etwas gesehen? Es ist Ihre Pflicht, auszusagen. Was haben Sie gesehen?
Jana zappelte, und plötzlich sprang sie aus seiner Jacke. Er versuchte, sie an den Hinterläufen festzuhalten, aber sie schoss wie ein Hase zwischen den Bäumen davon. Bis zum Weg waren es höchstens dreißig Meter, jetzt überquerte ihn der Köter vor dem Bullen, der ihm mit dem Blick folgte, schaute dann aber wieder in seine Richtung, als könnte er durch Schnee, Eis und Bäume sehen. Der Mann kam einige Schritte näher. Vermutlich sah er die Spuren, natürlich gab es Spuren.
»Kommen Sie heraus!«, rief er. »Polizei.«
Ich antworte nicht. Warum soll ich antworten, er kann sich Jana schnappen, ich brauche sie nicht, sie ist einen Dreck wert.
»Ich möchte Ihnen nur ein paar Fragen stellen«, hörte er den Kerl rufen.
Ein paar Fragen. Erste Frage: Warum haben Sie die Jungen niedergestochen? Zweite Frage: Wie viele haben Sie niedergestochen? Irgendetwas in der Art. Auf so etwas beabsichtigte er nicht zu antworten. Er könnte auf andere Art antworten – wenn er den Bullen nur bis zum Auto kriegte, könnte er den Stahl herausnehmen und ihm eine richtig gute Antwort verpassen. Das war gar keine dumme Idee. Einfach vortreten und bis zum Auto so tun, als wäre er zur Zusammenarbeit bereit. Das Weib, das der Bulle dabeigehabt hatte, war vielleicht auch von der Polizei, aber sie war sicher nichts wert, war nur die Quotenfrau.
Jetzt kam der Köter zurückgelaufen, dem Kriminaler genau vor die Füße! Der Kerl kam gar nicht dazu, sich zu bewegen. Auf diesem Ausflug hatte Jana rennen gelernt. Sie sprang wieder auf seinen Arm. Sie wusste, wo sie hingehörte.
Von der anderen Seite der Bucht hörte er Sirenengeheul. Sie heulten für ihn. Was für eine Ehre. Die Dämmerung hatte eingesetzt, er sah das Blaulicht über den Himmel gleiten, sehr hübsch, aber es war Zeit, von hier zu verschwinden. Er drehte sich um und begann, zwischen den Bäumen durch den Schnee zu laufen. Zweige schlugen ihm ins Gesicht, er musste Jana mit beiden Händen festhalten und konnte die Zweige nicht zur Seite biegen, er spürte die scharfen, nassen Schläge, seine Augen fingen an zu tränen, er blinzelte mehrmals und rannte weiter. Das Wäldchen wurde lichter, er erreichte einen offenen Platz, und dort vorn glommen die Felsen im Licht des aufgehenden Mondes, Scheiße, wie schnell das ging, er merkte, dass er jetzt noch schneller lief, hinunter zur Badebucht und bald hinaus aufs Eis, bald über das Eis und zurück zum Festland. Ihm fiel ein, dass er eine Waffe bei sich hatte, das Messer steckte in seiner Manteltasche, er spürte, wie es darin hüpfte, zu allem bereit, stiletto, biletto nur weg hier, ganz gleich, was geschah.
Winter hatte es gerade noch geschafft, einen Fuß nach dem Hundewelpen auszustrecken, das war alles, und fast hätte er wieder die Balance verloren. Lange Beine, spitze Schnauze und weg, ehe man blinzeln konnte, zwischen die Bäume hinein, er hörte Schritte und ein Bellen und dann schwerere Schritte, die sich entfernten. Sie waren immer noch nah, es hörte sich an, als ob jemand wahnsinnig rannte, jemand, der ihm nicht begegnen, sich nicht zu erkennen geben, nicht auf ein paar Fragen antworten wollte.
Winter setzte sich wieder in Bewegung. Er folgte dem vereisten Gehweg. Wenn er bei jedem Schritt den ganzen Fuß aufsetzte, fand er auf dem Untergrund Halt. Bei jedem Schritt hatte er Schmerzen in den Fersen. Auf der anderen Seite der Insel heulte eine Sirene durch die Dämmerung. Soweit er sich erinnern konnte, machte der Weg ein Stück weiter hinter dem Hügel einen Bogen und führte scharf nach links zum Badeplatz hinunter, es waren nur wenige Hundert Meter, wenn der Typ die Richtung durch den Wald eingeschlagen hatte, könnten sie sich treffen.
Er lief weiter den Hügel hinauf, jede Sekunde konnte die Wade zum Teufel gehen, die Fersensehne; nach vier Läufen pro Woche zwischen Marbella und Puerto Banús war er gut in Form, doch ein Mann um die fünfzig brauchte für Aufwärmen und Stretching fast genauso viel Zeit wie fürs Laufen, und jetzt war er aus dem Stand losgelaufen.
Aber Füße und Beine hielten durch. Er war oben auf der Kuppe, hörte seinen eigenen Atem, riss sich im Laufen den Schlips ab, zerrte das Hemd
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