Das Dunkle Muster
Fliegens – nicht einmal des Segelflugs – packte ihn so wie diese. Er kam sich vor wie ein körperloser Geist, der den Unbilden der Schwerkraft ebenso enthoben war wie den Kümmernissen und Sorgen von Körper und Seele.
Dies war eine Selbsttäuschung, denn natürlich hielt die Gravitation den Ballon auch weiterhin in den Krallen, spielte mit ihm und konnte ihn dorthin reisen lassen, wo sie wollte. Und der Aufschub bis zu jener Minute, in der die Sorgen und Kümmernisse von Körper und Seele wieder einsetzten, würde auch nicht lange währen. Es würde bald genügend Arbeit für beide geben.
Frigate schüttelte sich wie ein gerade dem Wasser entstiegener Hund und stürzte sich auf jene Arbeit, die einen Ballonfahrer den größten Teil des Fluges in Atem hielt. Er überprüfte den Höhenmesser. Eintausendachthundertneunundzwanzig Meter. Das Statoskop zeigte an, daß ihr Aufstieg mit der durch die Sonne hervorgerufenen Erwärmung der Ballonhülle Schritt hielt. Nachdem er festgestellt hatte, daß die Sauerstoff- und Wasserstofftanks gefüllt waren, löste er die Batterie vom Wasser. Im Moment gab es für ihn – abgesehen von der Beobachtung des Höhenmessers und des Statoskops – nichts mehr zu tun.
Das Tal wurde kleiner. Die blauschwarzen Berge, auf denen hie und da kleine, graugrünen Flecken und blaugrüne Flechtenansammlungen zu erkennen waren, sanken unter ihnen hinweg. Die Nebelfelder, die streifenförmig über den Fluß und der Ebene dahinzogen, verschwanden ebenso schnell wie ein Mäuserudel, dem man die Nachricht überbracht hatte, in der Nachbarschaft sei eine Katze gesichtet worden.
Immer schneller trieben sie jetzt nach Süden ab. »Wir verlieren an Boden«, murmelte Frisco-Kid. Offenbar sprach er aber nur, um ein wenig von der nervösen Spannung loszuwerden. Testballons hatten ihnen gezeigt, daß der Stratosphärenwind sie nach Nordosten treiben würde.
»Die letzte Chance für eine Zigarette«, sagte Frigate. Abgesehen von Nur zündeten sich alle ein Stäbchen an. Obwohl auf allen Ballons, die vor der Jules Verne existiert hatten, das Rauchen strengstens verboten gewesen war, konnte man es in dieser Höhe noch gestatten. Es war Unfug, sich über glimmenden Tabak den Kopf zu zerbrechen, solange im Innern der Gondel eine Flamme brannte.
Der Ballon hatte sich jetzt über das Tal hinaus erhoben, und die Möglichkeit, auch auf jene hinabblicken zu können, die neben diesem einen lagen, entzückte sie. Unter ihnen lagen nun mehrere Täler – schön eins neben dem anderen. Zur Linken lagen jene, die sie mit der Razzle Dazzle passiert hatten. Sie sahen wie breite, tiefe Canyons aus. Und als sie noch höher hinaufkamen, wich der Horizont zurück. Frigate und Rider hatten dieses Phänomen bereits auf der Erde miterlebt, aber die anderen erstarrten in Ehrfurcht. Pogaas sagte etwas auf Swasi. Nur murmelte: »Als hätte Gott die Welt nach einem Tischtuch erschaffen.«
Frigate hatte alle Luken geschlossen. Er schaltete den Sauerstoffbehälter und einen kleinen Ventilator, der das Kohlendioxid in einen Wattebausch einsaugte, an. Nach sechzehn Kilometern ununterbrochenen Aufstiegs geriet die Jules Verne in die Tropopause, die Region zwischen Troposphäre und Stratosphäre. Die Temperatur außerhalb der Gondel betrug nun minus 75“ Celsius.
Ein Gegenwind berührte nun den Ballon und versetzte ihn in eine leichte Drehbewegung. Falls sich der Wind nicht änderte, würden sie von nun an den gleichen Ausblick haben wie jemand, der auf einem müde kreisenden Karussell saß.
Nur übernahm den Posten des Piloten. Ihm folgte Pogaas; die dritte Wache ging an Rider. Als Farrington an der Reihe war, hatte er jegliche Nervosität verloren. Nun übte er die Kontrolle aus, und das machte die Angelegenheit für ihn offenbar anders. Frigate erinnerte sich daran, daß Farrington einst in einem Buch mit glühender Begeisterung geschildert hatte, wie ihm erlaubt worden war, im Alter von siebzehn jähren bei rauem Seegang das Steuer eines Segelschoners zu übernehmen. Der Kapitän war, nachdem er ihn ein paar Minuten lang beobachtet hatte, wieder unter Deck gegangen. Farrington war als einziger oben geblieben, und die Sicherheit von Schiff und Mannschaft hatte in seinen Händen gelegen. Es war eine ekstatische Empfindung für ihn gewesen, die nichts in seinem abenteuerlichen Leben jemals übertroffen hatte.
Als Frigate ihn allerdings ablöste, gefror ihm das Lächeln auf den Lippen, und er sah genauso unglücklich aus wie
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