Das dunkle Paradies
wir entkommen konnten.«
»Er hat mich nicht aufgehalten«, spottet Davy. »Ich habe ihn gefangen genommen. Dann habe ich ihn zu Pa zurückgebracht und durfte ihn foltern. Ich durfte ihn foltern, bis er tot war.«
Und Davys Lärm …
Ich …
Ich kann nicht genau sagen, was ich in Davys Lärm höre (er ist ein Lügner, er ist ein Lügner), aber was ich höre, gibt mir so viel Kraft, dass ich ihn wegstoßen kann. Wir kämpfen weiter, Davy wehrt mich mit dem Knauf seiner Pistole ab, bis ich ihn schließlich mit einem Ellbogenschlag gegen die Kehle fertigmache.
»Daran wirst du noch oft denken, Kleiner«, sagt Davy hustend und umklammert seine Pistole. »Immer dann, wenn Pa all diese netten Sachen über dich erzählt. Du wirst daran denken, dass er es war, der mir befohlen hat, deinen Ben zu foltern.«
»Du Lügner!«, rufe ich. »Ben hat dich besiegt!«
»Ach, hat er das?«, fragt Davy spöttisch zurück. »Wo ist er denn jetzt? Kommt er und rettet dich?«
Ich mache einen Schritt auf ihn zu, mit geballten Fäusten, denn natürlich hat er Recht. Mein Lärm brandet auf, weil ich Ben verloren habe. Es fühlt sich an, als würde ich ihn jetzt und hier noch einmal verlieren.
Davy lacht, kriecht weg von mir, bis er an dem großen Holztor ist. »Mein Vater kann in deinem Lärm lesen«, sagt er, dann weiten sich seine Augen höhnisch. »Er kann in dir lesen wie in einem Buch.«
Mein Lärm schwillt an. »Gib mir das Buch! Sonst bring ich dich um, das schwöre ich!«
»Du wirst mir gar nichts tun, Mr Hewitt«, sagt Davy und steht auf, den Rücken zum Tor gewandt. »Du willst doch deine geliebte Schlampe nicht in Gefahr bringen, oder?«
Da haben wir es wieder.
Sie wissen ganz genau, dass sie mich in der Tasche haben.
Weil ich sie auf keinen Fall in Gefahr bringen will.
Meine Hände wollen Davy Prentiss noch viel Schlimmeres antun, so wie damals, als er sie verletzt hat, als er auf sie geschossen hat …
Aber jetzt können sie es nicht.
Obwohl es möglich wäre …
Weil er schwach ist.
Und weil wir beide das wissen.
Davy hört auf zu grinsen. »Du hältst dich für was Besonderes, nicht wahr?«, stößt er hervor. »Du glaubst, Pa ist vernarrt in dich.«
Ich balle die Fäuste, dann öffne ich sie wieder.
Aber ich lasse mich nicht aus der Ruhe bringen.
»Pa kennt dich durch und durch«, sagt Davy. »Pa hat dich gelesen.«
»Er hat nicht die geringste Ahnung«, knurre ich. »Und du noch viel weniger.«
Davy lacht wieder höhnisch. »Tatsächlich? Dann komm mit und lerne deine neue Herde kennen.«
Er lehnt sich gegen die Tür und drückt sie mit seinem Gewicht auf, dann betritt er die Koppel und gibt mir den Blick frei.
Auf hundert oder mehr Spackle.
4
Wie man eine neue Welt erschafft
[TODD]
Mein erster Gedanke ist, mich umzudrehen und wegzulaufen. Zu laufen, zu laufen, zu laufen und niemals mehr stehen zu bleiben.
»So hab ich’s gern«, sagt Davy, der hinter dem Tor steht und grinst, als hätte er soeben einen Preis gewonnen.
Es sind so viele, so viele lange weiße Gesichter, die mich anstarren mit ihren riesigen Augen. Die kleinen Münder sind viel zu weit oben im Gesicht und es sind viel zu viele Zähne darin, und auch die Ohren haben so gar nichts Menschliches.
Aber ist hinter all dem nicht doch ein menschliches Gesicht zu erkennen? Man sieht immer noch ein Gesicht, in dem sich Angst spiegelt.
Und Schmerz.
Man kann schwer unterscheiden, welche von ihnen männlich, welche weiblich sind, denn anstelle von Kleidung bedecken Flechten und Moos ihre Haut, aber offenbar leben hier ganze Spackle-Familien, erwachsene Spackle, die ihre Spackle-Kinder beschützen, und Spackle-Ehemänner, die ihre Frauen beschützen, die sich gegenseitig fest umschlungen halten, ihre Köpfe dicht aneinanderpressen. Und bei all dem herrscht völlige Stille.
Stille.
»Ich weiß«, sagt Davy. »Kaum zu glauben, dass sie diesen Tieren die Arznei gegeben haben.«
Sie haben jetzt alle ihre Augen auf Davy gerichtet, und ein unheimliches Klicken geht zwischen ihnen hin und her, sie werfen sich Blicke zu, nicken mit dem Kopf. Davy bringt die Pistole in Anschlag und geht ein Stück weiter auf das Gelände des Klosters. »Wollt ihr frech werden oder was?«, faucht er. »Gebt mir einen Grund! Na, los doch! Gebt mir nur einen Grund!«
Die Spackle, die in kleinen Grüppchen dastehen, drängen sich noch dichter aneinander und weichen vor ihm zurück, so weit sie können.
»Komm rein, Todd«, ruft Davy. »Auf uns wartet
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