Das dunkle Paradies
Arbeit.«
Ich rühre mich nicht vom Fleck.
»Ich habe gesagt, du sollst reinkommen. Das sind Tiere. Sie werden dir nichts tun.«
Ich rühre mich noch immer nicht vom Fleck.
»Er hat einen von euch umgebracht«, sagt Davy zu den Spackle.
»Davy!«, schreie ich ihn an.
»Er hat ihm mit ’nem Messer den Kopf abgetrennt. Hat gesägt und gesägt …«
»Hör auf damit!« Ich renne auf ihn zu, um ihm sein verdammtes Maul zu stopfen. Ich habe keine Ahnung, woher er das weiß, aber er weiß es, und er soll jetzt, verdammt noch mal, sofort seine blöde Klappe halten.
Die Spackle, die direkt am Tor stehen, weichen zurück. Als ich mich nähere, gehen sie mir aus dem Weg, blicken mich angsterfüllt an, Eltern verbergen ihre Kinder hinter dem Rücken. Ich verpasse Davy einen kräftigen Stoß, aber er lacht nur, und jetzt erst merke ich, dass ich mich nun doch innerhalb der Klostermauern befinde.
Und ich sehe, wie viele Spackle hier wirklich sind.
Die Steinmauer des Klosters umschließt ein riesiges Stück Land, auf dem nur ein einziges kleines Gebäude, eine Art Lagerhalle, steht. Der Rest des Feldes ist in kleinere Parzellen aufgeteilt, die von alten Holzzäunen und niedrigen Gattern umgeben sind. Die meisten Zäune sind völlig überwuchert, und bis an die hinteren Mauern, die gut hundert Meter entfernt sind, ist alles mit hohem Gras und Brombeergestrüpp überwachsen.
Aber eigentlich sieht man nur Spackle.
Hunderte und Aberhunderte von Spackle.
Vielleicht sogar mehr als tausend.
Sie drücken sich an die Klostermauern, kauern hinter den modrigen Zäunen, sitzen in Gruppen beieinander oder stehen in Reihen beisammen.
Aber alle beobachten mich und sind totenstill, während mein Lärm sich über das Gelände ergießt.
»Er ist ein Lügner!«, rufe ich ihnen zu. »Es war ganz anders! Es war völlig anders.«
Aber wie war es denn? Wie kann ich es ihnen erklären?
Denn ich hab’s ja getan.
Es war zwar nicht ganz so, wie Davy behauptet, aber beinahe, und in meinem Lärm erscheint es genauso schlimm, auf alle Fälle aber viel zu schlimm, um das, was geschehen ist, in meinem Lärm zuzuschütten, jetzt, wo mich all diese Augen anstarren, viel zu schlimm, um es zwischen Lügen zu verstecken und die Wahrheit zu verschleiern, viel zu schlimm, um nicht daran zu denken, wenn Scharen von Spackle mich einfach nur anstarren.
»Es war ein Unfall«, sage ich und verstumme gleich wieder, weil ich von einem unheimlichen Gesicht ins andere blicke, kein einziges Bild im Lärm der Spackle sehe, das Klicken, das sie von sich geben, nicht verstehe und so gleich zweimal nicht verstehe, was in ihnen vorgeht. »Und ich hab es nicht gewollt.«
Keiner gibt eine Antwort. Sie tun nichts, sie starren mich nur an.
Es knarrt und das Tor hinter uns geht wieder auf. Wir drehen uns um.
Ivan aus Farbranch kommt herein, jener Ivan, der sich lieber der Armee anschließen wollte, als gegen sie zu kämpfen.
Und siehe da, er hatte den richtigen Riecher. Er trägt eine Offiziersuniform und hat eine Abteilung Soldaten bei sich.
»Mr Prentiss junior«, sagt er und nickt Davy zu, der zurückgrüßt. Dann sieht Ivan mich an und in seinen Augen liegt ein Ausdruck, den ich nicht deuten kann, und auch kein Lärm ist da, der es mir verraten könnte. »Ich freue mich, Mr Hewitt wohlauf zu sehen.«
»Ihr beide kennt euch?«, fragt Davy spitz.
»Wir sind uns früher mal begegnet«, antwortet Ivan, ohne den Blick von mir zu wenden.
Ich sage kein Wort.
Ich bin zu sehr damit beschäftigt, Bilder in meinem Lärm zu suchen.
Bilder von Farbranch. Bilder von Hildy und Tam und Francia. Bilder von dem Gemetzel, das dort stattfand. Dem Gemetzel, von dem er verschont blieb.
Ein ärgerlicher Ausdruck huscht über sein Gesicht. »Man geht dorthin, wo die Macht ist«, sagt er. »Auf diese Weise bleibt man am Leben.«
Ich lasse in meinem Lärm ein Bild seiner brennenden Stadt Form annehmen, ich denke an die Männer, Frauen und Kinder, die in den Flammen umkommen.
Er runzelt die Stirn. »Diese Männer werden als Wachen hierbleiben. Ihr beide seid ab jetzt dafür verantwortlich, dass die Spackle das Gelände säubern, und ihr habt sicherzustellen, dass sie genug Wasser und Essen haben.«
Davy rollt die Augen. »Schön, wir wissen das …«
Aber Ivan hat sich schon umgedreht und geht zum Tor. Er lässt zehn Männer mit Gewehren bei uns zurück. Sie beziehen oben auf der Klostermauer Stellung und beginnen sogleich damit, Stacheldraht entlang der Mauer
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