Das Echo aller Furcht
Einfassung mit der Rasierklinge abzutrennen. Nach drei Stunden und mehreren Verletzungen – die Klinge war so schmal, daß sie sich immer wieder in die Finger schnitt – hatte sie ein zwei Meter langes Seil. An einem Ende knotete sie eine Schlinge, und das andere befestigte sie an der Lampe über der Tür. Dazu mußte sie sich auf ihren Stuhl stellen, aber das war später ohnehin erforderlich. Beim dritten Versuch saß der Knoten richtig. Das Seil durfte nicht zu lang sein.
Als sie mit ihrer Arbeit zufrieden war, machte sie sich ohne Pause ans Werk. Petra Hassler-Bock zog Kleid und Büstenhalter aus, kniete sich mit dem Rücken zur Tür auf den Stuhl, legte sich die Schlinge um den Hals und zog sie zu. Dann zog sie die Beine hoch und band sie mit dem BH an der Tür fest. Sie wollte ihre Entschlossenheit, ihren Mut demonstrieren. Ohne ein Gebet oder eine Klage stieß sie den Stuhl mit den Händen um. Sie fiel vielleicht fünf Zentimeter, bis das Seil sich straffte, und an diesem Punkt begehrte ihr Körper auf. Ihre hochgezogenen Beine stemmten sich gegen die Fessel, doch dadurch wurde der Strangulierungseffekt nur noch stärker.
Der BKA-Beamte sah auf dem Fernsehschirm ihre Hände noch ein paar Sekunden lang zucken. Schade, dachte er. Sie war einmal hübsch gewesen, hatte aber aus freiem Willen gemordet und gefoltert und war nun aus freiem Willen gestorben. Nun, wieder einmal ein Beweis, daß die brutalsten Menschen im Grunde feige sind.
»Der Fernseher hier ist kaputt«, sagte er und schaltete das Gerät aus. »Besorgen Sie Ersatz.«
»Das wird eine gute Stunde dauern«, erwiderte der Aufseher.
»Das reicht.« Der Ermittler nahm eine Kassette aus dem Gerät, auf dem er auch die rührende Familienszene abgespielt hatte, und tat sie in seine Aktentasche. Er lächelte zwar nicht, sah aber zufrieden aus. Es war nicht seine Schuld, daß Bundestag und Bundesrat nicht in der Lage waren, ein simples und effektives Gesetz zur Einführung der Todesstrafe zu verabschieden. Der Grund waren natürlich die Exzesse der Nazis, versluchte Barbaren. Aber nicht alles, was diese Barbaren eingeführt hatten, war falsch gewesen. Die Autobahnen hatte man nach dem Krieg ja auch nicht aufgerissen. Und unter den Opfern der Nazis waren auch gemeine Mörder gewesen, die jedes andere zivilisierte Land auch hingerichtet hätte. Und wenn jemand den Tod verdiente, dann Petra Hassler-Bock. Sie hatte einen Menschen zu Tode gefoltert und war jetzt selbst durch den Strick gestorben. Recht so, dachte der Kriminalbeamte, der den Fall Manstein von Anfang an bearbeitet hatte. Er hatte dem Pathologen bei der Untersuchung der Leiche zugesehen, war auf der Beerdigung gewesen und nachts noch lange von den grausigen Bildern verfolgt worden. Vielleicht konnte er jetzt Ruhe finden. Der Gerechtigkeit war endlich Genüge getan. Mit ein bißchen Glück würden die beiden niedlichen Mädchen zu ordentlichen Bürgerinnen heranwachsen, und niemand sollte erfahren, wer und was ihre leibliche Mutter gewesen war.
Der Beamte verließ die Anstalt und ging zu seinem Wagen. Er wollte nicht im Haus sein, wenn die Leiche entdeckt wurde. Fall erledigt.
»Hey, Mann.«
»Tag, Marvin. Man hört, daß du ein Scharfschütze bist«, sagte Ghosn zu seinem Freund.
»Kleinigkeit, Mann. Ich hab’ mir schon als Kind das Abendessen geschossen.«
»Du hast unseren besten Ausbilder übertroffen«, sagte der Ingenieur.
»Eure Zielscheiben sind größer als Kaninchen und bewegen sich nicht. Mit meinem Kleinkalibergewehr hab’ ich sogar fliehende Hasen erwischt. Wenn man sich von der Jagd ernähren muß, lernt man schnell zielen. Was machst du mit dieser Bombe da?«
»Ein Haufen Arbeit, bei der so gut wie nichts rauskommt.«
»Vielleicht kannst du aus dem elektronischen Kram ein Radio bauen.«
»Oder sonst etwas Nützliches.«
10
Letzte Gefechte
Nach Westen zu fliegen ist immer leichter als nach Osten, weil sich der Körper eher an einen längeren als an einen kürzeren Tag gewöhnt, und gutes Essen und gepflegte Weine erleichtern die Umstellung noch. Die Air Force One hatte einen großen Konferenzraum für alle möglichen Anlässe; in diesem Fall gab der Präsident ein Essen für hohe Regierungsmitglieder und ausgewählte Leute vom Pressekorps. Das Essen war wie immer superb. Die 747 des Präsidenten ist wohl das einzige Flugzeug auf der Welt, in dem die Mahlzeiten nicht auf Plastiktellern und aus der Mikrowelle serviert werden. Ihre Stewards kaufen täglich frische
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