Das Echo aller Furcht
zu – so wie Benjamin es erst vor wenigen Tagen getan hatte.
Die beiden waren kaum zehn Meter von den mißmutigen, schmutzigen Arabern entfernt, als es geschah. Nur die Araber konnten sehen, wie ruhig und gelassen ihre Gesichter waren, mit welchem Fatalismus sie sich in alles, was nun geschehen mochte, fügten, und nur die Araber sahen, wie schockiert der Pole und wie entsetzt der Amerikaner reagierten, als sie erkannten, welches Schicksal ihnen bestimmt war.
Auf einen Befehl hin setzte sich die erste Reihe der Araber, alles junge Männer, die Erfahrung im Demonstrieren hatten, auf den Boden. Etwa hundert, die hinter ihnen standen, folgten ihrem Beispiel. Dann begann die erste Reihe rhythmisch zu klatschen und zu singen. Benjamin, der das Arabische so gut wie jeder Palästinenser beherrschte, brauchte eine Weile, bis er erkannte, daß sie ein amerikanisches Lied sangen, die Hymne der Bürgerrechtsbewegung.
We shall overcome
We shall overcome
We shall overcome some day ...
Die TV-Teams drängten sich hinter der Polizei. Einige Männer lachten über die grimmige Ironie, und der CNN-Korrespondent Pete Franks sprach stellvertretend für alle: »Ich glaub’, mich...« Franks erkannte, daß sich in diesem Augenblick die Welt verändert hatte – schon wieder. Er hatte der ersten Sitzung des demokratisch gewählten Obersten Sowjets beigewohnt, in Managua miterlebt, wie die Sandinisten den anscheinend so sicheren Wahlsieg verloren, und war in Peking Zeuge der Zerstörung der Freiheitsstatue geworden. Erstaunlich, dachte er, auf einmal blicken die Araber durch. Heilige Scheiße ...
»Mickey, ich hoffe doch, daß das Band läuft.«
»Sag mal, hör’ ich recht?«
»Ja. Los, gehen wir näher ran.«
Angeführt wurden die Araber von Haschimi Moussa, einem 21jährigen Soziologiestudenten. Sein Arm zeigte Narben, die ein israelischer Schlagstock hinterlassen hatte, und ihm fehlten die Schneidezähne, weil ein schlechtgelaunter Soldat der israelischen Armee ein Gummigeschoß ganz besonders exakt plaziert hatte. Haschimi hatte seinen Mut oft genug beweisen und ein dutzendmal dem Tod ins Gesicht sehen müssen, ehe er an die Spitze rücken konnte. Aber nun hatte er es geschafft, man hörte auf ihn und ließ sich von Ideen überzeugen, die er schon fünf lange Jahre im Kopf gehabt hatte. Drei Tage hatte er gebraucht, um seine Kameraden dafür zu gewinnen, und dann hatte ein jüdischer Liberaler und Opponent der religiösen Konservativen zum Glück ein wenig zu laut von den Plänen für diesen Tag gesprochen. Vielleicht ein Wink des Schicksals, dachte Haschimi, oder der Wille Allahs. Wie auch immer, dies war der Moment, auf den er seit seinem fünfzehnten Lebensjahr – damals hatte er zuerst von Gandhi und Martin Luther King und deren Strategie des passiven Widerstands gehört – gewartet hatte. Es war nicht einfach gewesen, seine Freunde zu überreden, die Kriegertradition der Araber aufzugeben, aber er hatte es geschafft. Das jetzt war der Moment, wo seine Idee auf die Probe gestellt werden sollte.
Benjamin Zadin sah nur, daß ihm der Weg verstellt war. Rabbi Kohn sagte etwas zu Rabbi Goldmark, aber keiner wich zu der Reihe der Polizei zurück; das hätte eine Niederlage bedeutet. Ob sie nun aus Überraschung oder Zorn nicht von der Stelle wichen, sollte Zadin nie erfahren. Er drehte sich zu seinen Männern um.
»Gas!« Dieser Schritt war geplant. Die vier Männer mit den Tränengasgewehren, alles fromme Juden, legten an und feuerten eine Salve in die Menge. Erstaunlicherweise wurde niemand von den gefährlichen Gasprojektilen verletzt. Binnen Sekunden quollen unter den sitzenden Arabern graue Tränengaswolken auf. Doch sie erhielten einen Befehl, und die Demonstranten setzten Schutzmasken auf. Das beeinträchtigte zwar den Gesang, nicht aber das Klatschen oder ihre entschlossene Haltung. Hauptmann Zadin wurde noch wütender, als der Ostwind das Gas von den Arabern weg auf seine Männer zutrieb. Anschließend hoben Araber mit dicken Handschuhen die heißen Geschosse auf und warfen sie zur Polizei zurück.
Nun ließ Zadin Gummigeschosse abfeuern. Sechs Mann waren mit den entsprechenden Waffen ausgerüstet und konnten über eine Distanz von fünfzig Metern jeden erwischen. Die erste Salve war perfekt. Sie traf sechs Araber in der ersten Reihe. Zwei schrien auf, und einer sank zusammen, aber man rührte sich nur vom Platz, um den Verletzten zu helfen. Die nächste Salve war auf die Köpfe gezielt, und Zadin sah zu
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