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Das Echo aller Furcht

Das Echo aller Furcht

Titel: Das Echo aller Furcht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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löste. Dann die grausigen Nachwirkungen des Treffers. Der Schuß aus dem Revolver – zur Hölle mit diesem Nigger und seiner kugelsicheren Weste! – und Johns Hände vor der blutigen Masse wie im Horrorfilm. Er sah sich die Sequenz fünfmal an und wußte, daß sie ihm bis ins letzte Detail unauslöschlich im Gedächtnis haften bleiben würde.
    Ein toter Indianer mehr. »Sicher, ich habe ein paar gute Indianer gesehen«, hatte General William Tecumseh – ein indianischer Name! – Sherman einmal gesagt. »Aber die waren tot.« John Russell war tot, wie so viele andere, die keine Chance zu einem ehrenhaften Kampf bekommen hatten, abgeknallt wie ein Tier, aber noch brutaler. Marvin war davon überzeugt, daß der Schuß für die laufende Kamera inszeniert worden war. Diese Pißnelke von Reporterin in ihren modischen Fetzen! Der hatte das FBI einmal zeigen wollen, wo es langgeht. Genau wie die Kavallerie bei Sand Creek und Wounded Knee und auf hundert anderen namenlosen und in Vergessenheit geratenen Schlachtfeldern.
    Und so wandte Marvin Russell sein Gesicht der Sonne zu, einer der Gottheiten seines Volkes, und suchte nach Antwort. Es gibt keine, sagte ihm die Sonne. Seine Kameraden waren unzuverlässig; diese Erkenntnis hatte John mit dem Leben bezahlt. Welcher Wahnsinn, die Bewegung durch Drogenhandel zu finanzieren, gar selbst Drogen zu nehmen! Als wäre das Feuerwasser, mit dem der weiße Mann die Indianer ruiniert hatte, nicht schon schlimm genug gewesen! Die anderen »Krieger« waren Kreaturen ihrer von Weißen geschaffenen Umwelt und wußten nicht, daß diese sie bereits kaputtgemacht hatte. Sioux-Krieger nannten sie sich und waren doch nichts als Säufer und kleine Kriminelle, die selbst auf diesem anspruchslosen Feld versagt hatten. In einer seltenen Anwandlung von Ehrlichkeit – wie konnte man im Angesicht einer Gottheit unaufrichtig sein? – gestand sich Marvin ein, daß er besser war als sie. Und als sein Bruder. Schwachsinn, beim Rauschgifthandel mitzumachen. Alles nutzlos. Was hatten sie schon erreicht? Zwei FBI-Agenten und einen Vollzugsbeamten umgelegt, aber das war schon lange her gewesen. Und seitdem? Nichts weiter, immer nur mit diesem einzigen Triumph geprahlt. Doch was für ein Sieg war das schon gewesen? Das Reservat, der Schnaps, die Hoffnungslosigkeit, alles war noch da, nichts hatte sich geändert. Wen hatten sie aufgerüttelt, wer hatte nach ihrer Identität und ihren Motiven gefragt? Niemand. Es war ihnen lediglich gelungen, die Unterdrücker aufzubringen, so daß die »Warrior Society« nun selbst in ihrem eigenen Reservat verfolgt wurde und ihre Mitglieder nicht wie Krieger, sondern wie gehetztes Wild lebten. Ihr solltet aber Jäger sein, sagte ihm die Sonne, und keine Beute.
    Der Gedanke wühlte Marvin auf. Ich werde der Jäger sein. Mich sollen die Weißen fürchten. Aber diese Zeiten waren längst vorbei. Ihm kam die Rolle des Wolfes im Pferch zu, aber die weißen Schafe waren nun so stark geworden, daß sie ganz vergessen hatten, daß es Wölfe gab, und sich hinter scharfen Hunden versteckten. Diese Hunde waren nicht mehr damit zufrieden, die Herde zu bewachen, sondern begannen, den Wölfen selbst nachzustellen, bis aus diesen wiederum verängstigte, gehetzte, nervöse Kreaturen geworden waren, Gefangene in ihrer eigenen Wildbahn – wie einstmals die Schafe.
    Er mußte also seine Wildbahn verlassen.
    Er mußte seine Brüder finden, Wölfe, die das Jagen noch nicht verlernt hatten.

3
Ziviler Ungehorsam
    Dies war der Tag, sein Tag. Hauptmann Benjamin Zadin hatte bei der israelischen Staatspolizei rasch Karriere gemacht und war der jüngste Mann seines Ranges. Er war als einziger von den Brüdern noch am Leben und selbst Vater zweier Söhne, David und Mordecai, und hatte bis vor kurzem am Rande des Selbstmords gestanden. Erst vor zwei Monaten hatten ihn innerhalb von einer Woche zwei Schicksale ereilt: der Tod seiner Mutter und der Auszug seiner schönen, aber untreuen Frau. Fast über Nacht hatte sein so sorgfältig und erfolgreich geplantes Leben jeglichen Sinn verloren. Rang und Sold, der Respekt seiner Untergebenen, seine bewiesene Intelligenz und Umsicht in Krisen-und Spannungssituationen, sein Erfolg als Soldat beim schwierigen und gefährlichen Streifendienst an der Grenze – alles das war nichts im Vergleich zu einem leeren Haus voller verrückter Erinnerungen.
    Israel gilt allgemein als »Judenstaat«, aber das täuscht über die Tatsache hinweg, daß nur ein Bruchteil

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