Das Echo aller Furcht
Angriff standzuhalten, aber Borstein rechnete nicht damit, einen solchen zu überleben. Ein ganzes Regiment SS-18 Mod 4 hatte den Auftrag, diesen Befehlsstand und eine Reihe anderer zu zerstören. Anstelle von zehn oder mehr individuell lenkbaren Gefechtsköpfen trugen diese Raketen nur einen Sprengkopf von 25 Kilotonnen, und das konnte nur einen plausiblen Zweck haben: den Berg Cheyenne in den See Cheyenne zu verwandeln. Ein angenehmer Gedanke. Borstein war Kampfpilot gewesen. Auf der F-100, von ihren Piloten »der Hunne« genannt, hatte er begonnen, war zur F-4 Phantom aufgestiegen und hatte zuletzt in Europa eine Staffel F-15 befehligt. Er war schon immer ein Draufgänger gewesen – Knüppel und Pedale, Schutzbrille und Halstuch: ein Tritt ans Fahrwerk, Feuer ins Triebwerk und ab die Post. Bei diesem Gedanken zog Borstein die Stirn kraus. Selbst er war nicht alt genug, um diese Zeit vergessen zu haben. Seine Aufgabe war die Verteidigung des kontinentalen Luftraums; er hatte zu verhindern, daß jemand sein Land in die Luft jagte. Und er hatte versagt. Ganz in seiner Nähe war eine Stadt zerbombt worden, zusammen mit seinem Chef, und er hatte keine Ahnung, wer das getan hatte oder warum. An Versagen war Borstein nicht gewöhnt, aber eben damit sah er sich nun konfrontiert, als er auf seinen riesigen Kartendisplay schaute.
»General!« rief ein Major.
»Was gibt’s?«
»Wir fangen Funk- und Mikrowellenverkehr auf; vermutlich versetzt der Iwan seine Raketenregimeter in Alarmbereitschaft. Ähnliches ist von Marinestützpunkten zu vernehmen. Moskau gibt Blitzmeldungen heraus.«
»Himmel noch mal!« Borstein griff wieder zum Telefon.
»Wirklich? Noch nie?« fragte Liz Elliot.
»Seltsam, aber wahr«, erwiderte Borstein. »Selbst während der Kubakrise versetzten die Russen ihre ICBM nicht in Alarmbereitschaft.«
»Unglaublich«, schnaubte Fowler. »Wirklich nie?«
»Der General hat recht«, meinte Ryan. »Der Grund ist ein schon immer miserabel gewesenes Telefonnetz. Ich nehme an, man hat es inzwischen soweit verbessert –«
»Was soll das heißen?«
»Mr. President, der Teufel steckt im Detail. So wie wir geben die Sowjets solche Befehle telefonisch durch. Anweisungen von solcher Tragweite kann man nicht über ein Netz geben, das immer wieder mal zusammenbricht. Die Russen haben also große Summen in seine Verbesserung gesteckt, so wie wir viel für unser neues Kommando- und Führungssystem aufgewendet haben. Inzwischen benutzen sie Glasfaserkabel und ein ganz neues Mikrowellen-Richtfunksystem. Und deshalb erfuhren wir auch von dem Alarm«, erklärte Jack. »Wir fingen Streusignale von Relaisverstärkern auf.«
»In ein paar Jahren, wenn die Umstellung auf Glasfaserkabel komplett ist, erfahren wir dann überhaupt nichts mehr«, fügte General Fremont hinzu. »Das gefällt mir nicht.«
»Mir auch nicht«, meinte Ryan. »Aber wir sind schließlich auf DEFCON-2, oder?«
»Unsinn, das wissen sie doch gar nicht«, warf Liz Elliot ein. »Haben wir ihnen das mitgeteilt?«
»Nein, aber vielleicht hören sie bei uns mit. lch sagte doch bereits, daß sie Berichten zufolge unser Chiffriersystem entschlüsselt haben.«
»Die NSA sagt, Sie wären nicht ganz bei Trost.«
»Mag sein, aber die NSA irrt sich nicht zum ersten Mal.«
»Wie schätzen Sie Narmonows Geisteszustand ein?«
Hat er ebensoviel Schiß wie ich? dachte Ryan. »Sir, das ist von hier aus nicht zu beurteilen.«
»Wir wisen ja noch nicht einmal, ob er selbst an der Leitung ist«, warf Liz Elliot ein.
»Liz, ich lehne Ihre Hypothese ab«, bellte Jack über die Konferenzschaltung. »Gestützt wird sie nur von Hinweisen aus meiner Behörde, an denen wir unsere Zweifel haben.« Jack bereute nun bitter, mit diesem Material ins Weiße Haus gegangen zu sein.
»Schluß jetzt, Jack!« fauchte der Präsident zurück. »Ich brauche Fakten, keine Diskussionen. Verstanden?«
»Sir, ich muß Sie erneut darauf hinweisen, daß nicht genug Informationen vorliegen, auf denen sich eine Entscheidung basieren ließe.«
»Alles Käse«, meinte ein Colonel neben General Fremont.
»Was wollen Sie damit sagen?« Der CINC-SAC wandte sich vom Telefon ab.
»Dr. Elliot hat recht, Sir. Was sie vorhin sagte, klang plausibel.«
»Mr. President«, hörten sie eine Stimme sagen. »Es geht eine Nachricht über den heißen Draht ein.«
PRÄSIDENT FOWLER:
WIR ERFUHREN GERADE, DASS EINE US-EINHEIT IN BERLIN OHNE WARNUNG EINE SOWJETISCHE EINHEIT ANGEGRIFFEN
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