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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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Großstädten verkauft. Sehen Sie nur, was für eine wunderbare Farbe, was für ein Plissee! Seine Herstellung bleibt das große Geheimnis des Künstlers. Das Kleid sitzt wie angegossen. Und ich, meine liebe Doña Manuela, möchte ein solches Kleid haben. Nachgemacht, natürlich.«
    Mit zwei Fingern nahm sie den Stoffschlauch an einem Ende hoch, und wie durch Zauberei entfaltete sich ein hinreißendes Kleid aus rotem Seidensatin, das mit tadellosem Fall bis zum Boden reichte, wo es sich kreisrund auffächerte. Es war eine Art Tunika mit Tausenden winziger Längsfalten. Klassisch, schlicht, exquisit. Seit jenem Tag waren vier oder fünf Jahre vergangen, doch mein Gedächtnis hatte den gesamten Herstellungsprozess noch gespeichert, denn ich hatte bei jedem einzelnen Arbeitsschritt mitgeholfen. Ob für Elena Barea oder Rosalinda Fox, die Technik blieb die gleiche. Das einzige Problem war, dass wir sehr wenig Zeit hatten und besonders schnell arbeiten mussten. Stets unterstützt von Jamila erhitzte ich auf dem Herd Wasser in mehreren Töpfen, das wir, sobald es kochte, in die Badewanne schütteten. Darin weichte ich den Stoff ein, wobei ich mir natürlich die Hände verbrühte. Das Badezimmer füllte sich mit Dampf, während wir im Schweiße unseres Angesichts nervös den Fortgang unseres Experiments beobachteten und der Spiegel vor lauter Feuchtigkeit beschlug. Nach einer Weile entschied ich, dass man den Stoff, der vor Nässe schon ganz dunkel war, herausnehmen konnte. Wir schöpften das Wasser ab, dann griff sich jede ein Ende der Stoffbahn, und wir drehten sie mit aller Kraft in Längsrichtung, aber aus einem anderen Grund, als wir es sonst so viele Male mit den Bettlaken in der Pension in der Calle Luneta gemacht hatten. Auch jetzt versuchten wir noch den letzten Wassertropfen herauszupressen, ehe wir sie zum Trocknen in die Sonne legten. Die Stoffbahn sollte dafür so stark ausgewrungen sein wie möglich, nur dass wir dieses Mal den Stoff nicht ausbreiten würden und zu glätten versuchten, sondern die Knitterfalten im trockenen Stoff erhalten wollten. Dann legten wir den in sich verdrehten Stoffwulst in einen Waschtrog, den wir zusammen auf die Dachterrasse trugen. Anschließend drehten wir wieder beide Enden in jeweils gegenläufiger Richtung, und zwar so lange, bis der Stoff wie ein dicker Strick aussah und sich wie eine große Sprungfeder einrollte. Daraufhin breiteten wir ein Handtuch auf dem Boden aus und legten den wie eine Schlange zusammengerollten Stoff darauf, in dem sich, zum Kleid verwandelt, meine englische Kundin in wenigen Stunden am Arm ihres geheimnisvollen Geliebten zum ersten Mal in der Öffentlichkeit zeigen würde.
    Während der Stoff in der Sonne trocknete, gingen wir wieder in die Wohnung hinunter, legten Kohle im Herd nach, bis das Feuer kräftig brannte und eine Temperatur wie in einem Dampfbad herrschte. Als die Küche sich in einen Backofen verwandelt hatte und die Nachmittagssonne bereits schwächer wurde, holten wir den Stoff von der Dachterrasse, breiteten ein neues Handtuch auf die erhitzte Herdplatte und legten den noch zusammengeknüllten, eingerollten Stoff darauf. Ohne ihn zu dehnen, drehte ich den Stoffwulst alle zehn Minuten um, damit er durch die Hitze der Herdplatte gleichmäßig durchtrocknete. Aus einem separaten Rest des Stoffes nähte ich inzwischen einen Gürtel, der aus einer dreifachen Lage von Zwischenfutter bestand, hinterlegt mit einem breiten Streifen gebügelter Seide. Um fünf Uhr nachmittags nahm ich den kunstvoll geknitterten Stoffwulst vom Herd und trug ihn ins Atelier. Kein Mensch hätte sich vorstellen können, was ich in weniger als einer Stunde aus diesem seltsamen Gebilde, das einer heißen Blutwurst ähnelte, machen würde.
    Ich legte den Stoffwulst auf den Schneidetisch und rollte das schlauchförmige Gebilde mit äußerster Sorgfalt auf. Vor meinem bangen und Jamilas erstauntem Blick entfaltete sich wie durch Zauberei die wunderschön plissierte Seide. Uns war kein dauerhaftes Plissee gelungen wie bei dem echten Modell von Fortuny, denn wir besaßen weder die Gerätschaften noch die technischen Kenntnisse dafür, doch wir erzielten immerhin einen ähnlichen Effekt, der zumindest eine Nacht überdauern würde – eine ganz besondere Nacht für eine Frau, die einen spektakulären Auftritt brauchte. Ich rollte den Stoff ganz auf und ließ ihn abkühlen. Dann schnitt ich ihn in vier Teile, aus denen ich eine Art Futteral nähte, das sich wie eine zweite

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