Das Echo der Traeume
traurige Erinnerungen, die ich mich zu verscheuchen bemühte, indem ich mich auf das Gespräch mit Rosalinda konzentrierte. Es schien, als wollte sie unbedingt mit jemandem über ihre Beziehung zum Hochkommissar sprechen, jemandem ihre persönliche Sicht mitteilen, die nichts zu tun hatte mit den wilden Klatschgeschichten, die in Tanger und Tetuán in Umlauf waren, wie sie wusste. Aber warum wollte sie sich ausgerechnet mir anvertrauen, einem Menschen, den sie kaum kannte? Trotz meiner Fassade als Schneiderin für elegante Mode hätte unsere Herkunft nicht unterschiedlicher sein können. Und ebenso unsere Gegenwart. Sie kam aus einer Welt reicher Kosmopoliten und Müßiggänger, ich war nichts weiter als eine selbständige Schneiderin, Tochter einer einfachen, alleinstehenden Frau, aufgewachsen in einem Arbeiterviertel von Madrid. Sie hatte eine leidenschaftliche Romanze mit einem hohen Offizier jener Armee, die den Krieg provoziert hatte, der nun meine Heimat verwüstete. Ich hingegen arbeitete Tag und Nacht für mein Fortkommen. Doch trotz allem hatte sie beschlossen, sich mir anzuvertrauen. Vielleicht weil sie meinte, sich auf diese Weise bei mir für den Gefallen revanchieren zu können, den ich ihr mit dem Delphos-Kleid erwiesen hatte. Vielleicht weil sie dachte, dass ich sie als unabhängige Frau in etwa demselben Alter besser verstehen könnte. Oder vielleicht ganz einfach deshalb, weil sie sich einsam fühlte und das dringende Bedürfnis verspürte, jemandem ihr Herz auszuschütten. Und dieser Jemand war zufällig ich.
» Vor seinem tragischen Tod bei diesem Flugzeugabsturz drängte Sanjurjo mich ständig, ich solle, sobald ich mich in Tanger eingerichtet hätte, unbedingt seinen Freund Juan Luis Beigbeder y Atienza in Tetuán besuchen. Immer wieder kam er auf unsere Begegnung im Hotel Adlon in Berlin zu sprechen und wie sehr sich Beigbeder freuen würde, mich wiederzusehen. Auch ich, to tell you the truth, war daran interessiert, diesen Mann wiederzutreffen – ich hatte ihn faszinierend gefunden, unglaublich interessant, unglaublich gebildet, ein echter spanischer caballero vom Scheitel bis zur Sohle. Und so beschloss ich ein paar Monate später, dass es an der Zeit wäre, in die Hauptstadt des Protektorats zu fahren und ihm einen Besuch abzustatten. Inzwischen hatte sich einiges verändert, obviously. Er hatte nicht mehr das Amt für Eingeborenenfragen inne, sondern den höchsten Posten im Hochkommissariat. Und dorthin machte ich mich nun in meinem Austin 7 auf den Weg. My God! Nie werde ich diesen Tag vergessen! Als ich in Tetuán ankam, war mein erster Gang der zum englischen Konsul, Monk-Mason, du kennst ihn sicher, oder? Ich nenne ihn immer old monkey, alter Affe. Er ist so furchtbar, furchtbar langweilig, der Arme.«
Ich führte gerade mein Weinglas zum Mund und nutzte diesen Umstand, um mich mit einer vagen Geste um eine Antwort zu drücken. Ich kannte diesen Monk-Mason nicht, hatte nur meine Kundinnen gelegentlich von ihm reden hören, doch das wollte ich gegenüber Rosalinda nicht zugeben.
» Als ich dem Konsul erzählte, dass ich die Absicht hatte, Beigbeder zu besuchen, war er schwer beeindruckt. Du weißt sicher, dass His Majesty’s government, die englische Regierung, im Gegensatz zu den Deutschen und Italienern, praktisch überhaupt keinen Kontakt zu den Vertretern des nationalen Lagers hat, weil sie nach wie vor nur die republikanische Regierung als legitim anerkennt, deshalb dachte Monk-Mason, mein Besuch bei Juan Luis könnte für die britischen Interessen sehr nützlich sein. Und so machte ich mich in meinem Auto und nur begleitet von Joker, meinem Hund, noch am Vormittag auf den Weg zum Hochkommissariat. Am Eingang zeigte ich das Empfehlungsschreiben vor, das Sanjurjo mir kurz vor seinem Tod gegeben hatte, und jemand brachte mich durch Gänge voller Militärs und zahlloser Spucknäpfe – how very disgusting, wie ekelhaft! – zum Privatsekretär von Juan Luis, und dieser Sekretär, Jiménez Mouro, führte mich sofort in dessen Arbeitszimmer. Angesichts des Kriegs und seiner Stellung dachte ich, der neue Hochkommissar würde mir in einer imposanten Uniform und mit zahlreichen Orden dekoriert entgegentreten, aber nein, ganz im Gegenteil. Genau wie an jenem Abend in Berlin trug Juan Luis einen schlichten dunklen Straßenanzug, der ihn nach allem Möglichen aussehen ließ, nur nicht nach einem Militär. Er freute sich außerordentlich über meinen Besuch, benahm sich mir gegenüber ganz
Weitere Kostenlose Bücher