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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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meinen HMV , mein tragbares Grammophon mit allen meinen Schallplatten: Paul Whiteman und sein Orchester, Bing Crosby, Louis Armstrong … Und natürlich hatte ich auch einen Stapel Empfehlungsschreiben dabei. Das war eines der wichtigsten Dinge, die mein Vater mir beigebracht hat, als ich noch ein kleines Mädchen war, just a girl, abgesehen vom Reiten und Bridgespielen, natürlich. Reise niemals ohne Empfehlungsschreiben, sagte er immer, poor daddy, er ist vor ein paar Jahren an einer heart attack gestorben. Wie ist noch mal das Wort dafür?«, fragte sie und legte dabei ihre Hand auf die linke Brustseite.
    » Herzinfarkt?«
    » That’s it, Herzinfarkt. Dank dieser Schreiben fand ich sofort englische Freunde: alte Kolonialbeamte im Ruhestand, Armeeoffiziere, Leute vom diplomatischen Corps, die üblichen Verdächtigen, you know. Die meisten waren ziemlich langweilig, to tell you the truth, aber durch sie lernte ich auch andere, ganz reizende Leute kennen. Ich mietete mir ein hübsches Häuschen nahe der Dutch Legation, suchte mir ein Dienstmädchen und ließ mich dort für ein paar Monate nieder.«
    Neben der Landstraße tauchten vereinzelt kleine weiße Häuser auf und zeigten an, dass wir bald in Tanger ankommen würden. Auch die Zahl der Menschen am Rand der Straße nahm zu: Gruppen einheimischer Frauen mit Bündeln auf dem Rücken, rennende Kinder mit nackten Beinen unter den kurzen Dschellabas, Männer mit Turban und Kapuze darüber und Tiere, immer wieder Tiere. Esel mit Wasserkrügen links und rechts, eine kümmerliche Schafherde, hin und wieder einige Hühner, die aufgeregt flatterten. Die Stadt nahm langsam Gestalt an. Rosalinda steuerte geschickt ins Zentrum, brauste bei vollem Tempo um die Kurven und beschrieb dabei das Haus, das ihr so sehr gefiel und in dem sie bis vor Kurzem gelebt hatte. Mittlerweile erkannte auch ich einige vertraute Orte wieder, und ich musste mich anstrengen, nicht daran zu denken, mit wem ich in einer Zeit, die ich für eine glückliche hielt, dort gewesen war. Rosalinda parkte den Wagen schließlich an der Plaza de Francia, und zwar mit einer Vollbremsung, sodass Dutzende von Passanten sich nach uns umdrehten. Ohne sich darum zu scheren, streifte sie das Kopftuch ab und begann, im Rückspiegel das Rouge nachzubessern.
    » Ich giere nach einem morning cocktail in der Bar des Hotels El Minzah. Aber zuvor muss ich noch ein kleines Problem klären. Begleitest du mich?«
    » Wohin?«
    » Zur Bank of London and South America. Ich will nachsehen, ob der widerliche Kerl, der sich mein Ehemann schimpft, mir endlich meinen Unterhalt überwiesen hat.«
    Auch ich nahm mein Kopftuch ab und überlegte gleichzeitig, wie lange mich diese Frau noch mit derartigen Neuigkeiten überraschen würde. Nicht nur, dass sie sich als liebevolle Mutter entpuppte, als ich sie instinktiv als leichtfertige junge Frau eingeordnet hatte. Nicht nur, dass sie mich bat, ihr ein Kleid zu leihen, damit sie zu einem Empfang des deutschen Konsuls gehen konnte, als ich mir vorstellte, sie besäße einen Schrank voller luxuriöser Roben der größten internationalen Modehäuser. Nicht nur, dass sie die Geliebte eines hochrangigen Militärs war, der doppelt so alt war wie sie, als ich annahm, sie sei die Freundin eines oberflächlichen Lebemannes aus dem Ausland. Nein, sie setzte noch eins drauf. Jetzt gab es in ihrem Leben zudem einen Ehemann, der zwar durch Abwesenheit glänzte, aber höchst lebendig war und der keine allzu große Begeisterung an den Tag zu legen schien, ihr weiterhin Unterhalt zukommen zu lassen.
    » Ich glaube, ich kann dich nicht begleiten, ich habe auch einiges zu erledigen«, erwiderte ich auf ihre Einladung hin. » Aber wir können uns später treffen.«
    » All right.« Sie sah auf die Uhr. » Um eins?«
    Ich nickte zustimmend. Es war noch nicht einmal elf, ich hatte also reichlich Zeit für meine Angelegenheiten. Ob ich Glück haben würde, stand auf einem anderen Blatt, doch wenigstens hatte ich Zeit.

23
    Die Bar des Hotels El Minzah sah noch genauso aus wie vor einem Jahr. An den Tischen und am Tresen drängten sich grüppchenweise gut gekleidete Männer und Frauen aus ganz Europa, tranken Whisky, Sherry und Cocktails und wechselten im Gespräch mühelos von einer Sprache in die andere. In der Mitte des Raums sorgte ein Klavierspieler mit seinen Melodien für eine angenehme Atmosphäre. Niemand schien es eilig zu haben, nichts schien sich seit dem Sommer 1936 verändert zu haben, mit dem

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