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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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erst gar nicht nach. Eigentlich sagte er fast nichts, sondern beschränkte sich wie immer darauf, mich mit seinem bohrenden Blick zu mustern und mir zur Vorsicht zu raten. Anschließend begleitete er mich zum Ausgang, um mich vor seinen sabbernden und mit Stielaugen glotzenden Untergebenen zu schützen. An der Tür seines Kommissariats verabschiedeten wir uns. Ob wir uns wiedersehen würden? Keiner von uns beiden wusste es. Vielleicht bald. Vielleicht niemals mehr.
    Außer Stoffen und allem möglichen Zubehör kaufte ich einen Schwung Modemagazine und einige Stücke marokkanischer Handwerkskunst in der Hoffnung, meinem Madrider Atelier einen exotischen Anstrich zu geben, der zu meinem neuen Namen und meiner vorgeblichen Vergangenheit als renommierte Modeschneiderin in Tanger passte. Tabletts aus gehämmertem Kupfer, Lampen aus buntem Glas, silberne Teekannen, einige Sachen aus Keramik und drei große Berberteppiche. Ein Stückchen Nordafrika mitten im vom Krieg ausgelaugten Spanien.
    Als ich zum ersten Mal die weitläufige Wohnung an der Calle Núñez de Balboa betrat, war alles für mein Kommen vorbereitet. Die Wände mattweiß gestrichen, der alte Eichenholzboden frisch poliert. Die Aufteilung und die Einrichtung der Räume entsprachen meiner Wohnung in Tetuán, nur in größerem Maßstab. Als Erstes kam man in drei ineinander übergehende Salons, die mir dreimal so viel Platz boten wie der frühere Salon. Die Räume waren unendlich viel höher, die Balkone wesentlich herrschaftlicher. Doch als ich eine der Balkontüren öffnete und mich hinausbeugte, sah ich in der Ferne keine Berge, weder den Dersa noch den Gorgues, die Luft duftete auch nicht annähernd nach Orangenblüten und Jasmin, die Nachbarhäuser waren nicht weiß gekalkt, und es war kein Muezzin zu hören, der von der Moschee aus zum Gebet rief. Hastig schloss ich die Balkontür wieder, als wollte ich die Schwermut am Eindringen hindern. Dann setzte ich meine Besichtigung fort. Im letzten der drei großen Räume waren die Stoffballen gestapelt, die ich aus Tanger mitgebracht hatte – wunderschöne Wildseide, Guipure-Spitze, Musselin und Chiffon in allen nur denkbaren Farbschattierungen: von zartem Hellgelb, das an einen Sandstrand erinnerte, bis hin zu Feuerrot, Rosen- und Korallenrot und allen möglichen Blautönen, die zwischen dem Blau des Himmels an einem Sommermorgen und dem Blau des aufgewühlten Meeres in einer stürmischen Nacht vorstellbar waren. Die beiden Zimmer zur Anprobe wirkten durch die imposanten dreiteiligen Spiegel, deren Rahmen Intarsien aus Blattgold schmückten, doppelt so groß. Den Mittelpunkt der Wohnung bildete, wie in Tetuán, das Atelier, nur dass es viel größer war. Dort befanden sich außer dem großen Zuschneidetisch auch Bügelbretter, Schneiderpuppen, Nähmaterial und Handwerkszeug, das Übliche eben. Ganz hinten dann mein Reich: riesig, zehnmal größer als für meine Bedürfnisse notwendig. Intuitiv ahnte ich, dass Rosalinda hier bei allem die Hand im Spiel gehabt haben musste. Sie allein wusste, wie ich arbeitete, wie meine Wohnung, mein Atelier, mein Leben eingerichtet waren.
    In der Stille meines neuen Zuhauses meldete sich wieder die Frage zu Wort, die mir schon seit Wochen im Kopf herumspukte. Warum, warum, warum? Warum hatte ich eingewilligt, warum hatte ich mich auf dieses riskante Abenteuer eingelassen, warum? Ich fand auch diesmal keine Antwort darauf. Oder zumindest keine eindeutige. Vielleicht hatte ich aus Loyalität zu Rosalinda dem Unternehmen zugestimmt. Vielleicht, weil ich geglaubt hatte, es meiner Mutter und meinem Land schuldig zu sein. Vielleicht hatte ich es für überhaupt keinen anderen Menschen getan, sondern nur für mich allein. Fest stand jedenfalls, dass ich Ja gesagt hatte, nur zu, bei vollem Bewusstsein, mir selbst versprechend, diese Aufgabe mit Entschlossenheit anzugehen, ohne Zweifel, ohne Misstrauen, ohne Zaudern. Und da war ich nun, hineingeschlüpft in die Persönlichkeit der nicht existenten Arish Agoriuq, die sich in ihrem neuen Zuhause umsah, mit klappernden Absätzen die Treppe hinunterlief, ausgesucht stilvoll und elegant gekleidet, auf dem besten Weg, sich in die falscheste Schneiderin von ganz Madrid zu verwandeln. Hatte ich Angst? Ja, alle Angst der Welt, sie schnürte mir schier die Kehle zu. Aber es war eine kontrollierte Angst. Gebändigt. Meinem Befehl gehorchend.
    Der Hausmeister des Anwesens überbrachte mir die erste Nachricht. Meine Dienstmädchen würden sich am

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