Das Echo der Traeume
sie haben. Auf diese Weise kann ich vielleicht neue Kundinnen gewinnen. Um das, was auf Spanisch gesagt wird, kümmere ich mich selbst, aber das, was sie auf Deutsch reden, ist deine Aufgabe.«
Falls Dora sich über diese Überwachung meiner Kundinnen wunderte, so zeigte sie es jedenfalls nicht. Wahrscheinlich hielt sie es für angemessen, für normal bei dieser Art von Geschäft, das so neu war für sie. Doch es war nicht normal, ganz und gar nicht. Silbe für Silbe die Namen, Posten, Orte und Daten zu notieren, die meinen Kundinnen entschlüpften, war kein normale Aufgabe, aber wir machten es tagtäglich, fleißig und methodisch wie brave Schülerinnen. Später, in der Nacht, ging ich meine und Doras Notizen durch, schrieb die Informationen heraus, die ich für interessant hielt, fasste sie zu aussagekräftigen Sätzen zusammen und transkribierte sie schließlich in den umgekehrten Morsecode, wobei ich die Striche und Punkte den geraden und geschwungenen Linien von Schnittmustern anpasste, aus denen niemals ein komplettes Kleidungsstück entstehen würde. Bei Tagesanbruch verwandelten sich die Heftchen mit den handgeschriebenen Notizen mit Hilfe eines simplen Streichholzes zu Asche. Am Morgen war kein einziger Buchstabe von den Notizen mehr übrig, dafür allerdings eine Handvoll versteckter Botschaften in den Konturen eines Revers, eines Stoffgürtels oder eines Ausschnitts.
Auch die Baronin Petrino kam zu mir, die Gattin des einflussreichen Presse- und Propagandachefs Lazar, längst keine so spektakuläre Erscheinung wie die Mexikanerin, aber mit weit größeren finanziellen Möglichkeiten. Sie wählte die teuersten Stoffe und sparte nicht mit launenhaften Einfällen. Sie brachte mir neue Kundinnen, zwei Deutsche, auch eine Ungarin. Über lange Zeit verwandelten sich meine Salons für diese Damen an den Vormittagen zu einem gesellschaftlichen Treffpunkt – ein buntes Sprachengewirr im Hintergrund. Ich brachte Martina bei, wie man den Minztee auf marokkanische Art zubereitet, für den wir die Nanaminze in Blumentöpfen auf dem Fenstersims in der Küche zogen. Ich zeigte ihr, wie man mit der Teekanne umgeht, wie man die kochend heiße Flüssigkeit aus einiger Höhe in die kleinen Gläser mit filigraner Silberverzierung eingießt, sodass der Tee Luftblasen bekommt, schaumig wird. Ich zeigte ihr sogar, wie man die Augen mit Khol schminkt, und schneiderte ihr einen Kaftan aus cremefarbenem Satin, der ihr eine exotische Note verlieh. Eine Doppelgängerin meiner Jamila in einem anderen Land, damit ich sie immer bei mir hatte.
Es lief gut, erstaunlich gut. Ich ging auf in meinem neuen Leben, betrat die exklusivsten Orte mit festem Schritt. Vor Kundinnen trat ich selbstsicher und entschlossen auf, von meiner falschen exotischen Herkunft wie von einer Rüstung geschützt. Ich mischte dreist französische und arabische Wörter in mein Spanisch: Vermutlich gab ich ziemlich viel Unsinn von mir, denn ich wiederholte einfach nur nicht allzu komplizierte Ausdrücke, die ich in den Straßen von Tanger und Tetuán aufgeschnappt und behalten hatte, deren Sinn und genaue Verwendung ich aber nicht kannte. Ich musste mich zusammennehmen, damit mir bei meinem polyglotten Geplapper nicht aus Versehen eine der englischen Wendungen entschlüpfte, die ich von Rosalinda gelernt hatte. Mein Status als erst kürzlich eingetroffene Ausländerin eignete sich ausgezeichnet dafür, meine Schwachpunkte zu kaschieren und gefährliches Terrain zu vermeiden. Doch meine Herkunft schien niemanden zu interessieren, viel interessanter waren meine Stoffe und das, was ich aus ihnen machen konnte. Die Kundinnen unterhielten sich angeregt in meinem Atelier, fühlten sich offenbar wohl. Sie sprachen untereinander und mit mir darüber, was sie kürzlich gemacht hatten, was sie demnächst vorhatten, über gemeinsame Freunde, über ihre Ehemänner und ihre Liebhaber. Unterdessen waren Dora und ich unentwegt beschäftigt: vor aller Augen mit den Stoffen, den Modezeichnungen und den Körpermaßen, im Hintergrund mit den geheimen Notizen. Ich wusste nicht, ob die Informationen, die ich tagtäglich transkribierte, für Hillgarth und seine Leute überhaupt einen Wert hatten, aber ich wollte auf jeden Fall peinlich genaue Arbeit liefern. Jeden Mittwochnachmittag, ehe ich mich in dem bewussten Schönheits- und Friseursalon auf den Stuhl setzte, deponierte ich die zusammengerollten Schnittmuster in dem angegebenen Spind. Samstags ging ich in den Prado, und dieses
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