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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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nächsten Morgen vorstellen. Gemeinsam kamen sie, Dora und Martina, zwei Jahre auseinander. Sie sahen sich ähnlich und waren doch ganz verschieden, wie zwei Seiten einer Münze. Dora war die Kräftigere, Martina die Hübschere. Dora wirkte aufgeweckter, Martina sanfter. Mir gefielen beide. Nicht aber ihre armselige Kleidung, ihre von langem Hunger gezeichneten Gesichter und ihre übermäßige Schüchternheit. Zum Glück fand sich für alle drei Probleme schnell eine Lösung. Ich nahm Maß bei ihnen, und wenig später hatte ich für jede der beiden mehrere elegante Arbeitsuniformen genäht – sie profitierten als Erste von dem Vorrat an Stoffen, den ich aus Tanger mitgebracht hatte. Mit ein paar Geldscheinen aus Hillgarth’ Umschlag schickte ich sie zum Mercado de la Cebada, um Lebensmittel einzukaufen.
    » Und was sollen wir kaufen, Señorita?«, fragten sie mit weit aufgerissenen Augen.
    » Was ihr findet. Es gibt keine große Auswahl, sagen die Leute. Was ihr eben seht. Habt ihr nicht gesagt, dass ihr kochen könnt? Also, nur zu!«
    Bis ihre übermäßige Schüchternheit sich legte, dauerte es eine Weile, aber mit der Zeit wurde es besser. Warum waren sie so introvertiert, was machte ihnen Angst? Alles. Für eine Ausländerin, eine Marokkanerin zu arbeiten, die ich vermeintlich war, das imposante Gebäude, in dem sich mein neues Domizil befand, die Angst, in einem Atelier der Haute Couture nicht zurechtzukommen. Doch sie passten sich Tag für Tag ein Stückchen mehr an ihr neues Leben an – an die weitläufige Wohnung und an die täglichen Arbeiten, an mich. Es stellte sich heraus, dass Dora, die Ältere, ein gutes Händchen für die Schneiderei hatte, sodass sie mir bald zu helfen begann. Martina hingegen ähnelte mehr Jamila und mir selbst in jungen Jahren: Sie lief am liebsten durch die Stadt und erledigte Besorgungen. Um den Haushalt kümmerten sich beide gemeinsam, sie waren tüchtig und umsichtig, gute Mädchen, wie man damals sagte. Hin und wieder sprachen sie auch von Beigbeder, aber ich gab nie zu erkennen, dass ich ihn kannte. Don Juan nannten sie ihn. Und sie erinnerten sich an ihn voller Zuneigung, assoziierten ihn mit Berlin, mit einer vergangenen Zeit, aus der ihnen nur verschwommene Erinnerungen und die fremde Sprache geblieben waren.
    Alles entwickelte sich, wie Hillgarth es vorhergesagt hatte. Mehr oder weniger. Es kamen die ersten Kundinnen, mit einigen von ihnen hatten wir gerechnet, mit anderen nicht. Die Saison eröffnete Gloria von Fürstenberg, eine wunderschöne Frau, majestätisch, das pechschwarze, zu dicken Zöpfen geflochtene Haar im Nacken zu einer Art Krone gesteckt, der Krone einer aztekischen Königin. Ihre großen Augen blitzten auf, als sie meine Stoffe sah. Sie betrachtete sie kritisch, strich mit den Fingern darüber und prüfte ihr Gewicht, erkundigte sich nach den Preisen, legte manche sogleich beiseite und probierte die Wirkung anderer an sich aus. Mit sachkundiger Hand wählte sie jene Stoffe aus, die ihr am besten zu Gesicht standen und nicht allzu teuer waren. Mit ebenso kundigem Auge blätterte sie die Modezeitschriften durch und hielt bei den Modellen inne, die am besten zu ihrer Figur und ihrem Stil passten. Die Mexikanerin mit dem deutschen Nachnamen wusste sehr genau, was sie wollte, sodass sie mich kein einziges Mal um Rat bat, noch ich ihr ihn aufdrängte. Schließlich entschied sie sich für ein locker fallendes, schlichtes Tunikakleid aus schokoladenfarbenem Seidenorganza und einen Abendmantel aus Seidenrips. Beim ersten Mal kam sie allein, und wir sprachen Spanisch miteinander. Zur ersten Anprobe brachte sie eine Freundin mit, Anka von Fries, die ein langes Kleid aus Crêpe Georgette bestellte und ein Cape aus rubinrotem Samt, mit Straußenfedern besetzt. Als ich sie deutsch miteinander sprechen hörte, holte ich Dora hinzu. Gut gekleidet, gut ernährt und gut frisiert, hatte das junge Mädchen nichts mehr von dem verängstigten Vögelchen, das vor wenigen Wochen mit seiner Schwester bei mir vorstellig geworden war. Sie hatte sich zu einer anmutigen, verschwiegenen Mitarbeiterin gewandelt, die sich alles merkte, was ihre Ohren aufschnappten, und alle paar Minuten unauffällig verschwand, um das Ganze in einem Heft zu notieren.
    » Ich habe immer gern ein möglichst ausführliches Archiv über meine Kundinnen«, hatte ich dem Mädchen erklärt. » Ich möchte verstehen, was sie sagen, damit ich weiß, wohin sie gehen, mit wem sie sich treffen und welche Pläne

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