Das Echo der Traeume
Berufsstandes ausgestattet war, der nichts mit seiner Profession zu tun hatte: ein Wandschirm, gläserne Schränke voller Döschen und Instrumente, eine Untersuchungsliege, an den Wänden Urkunden und Diplome. Energisch streckte er mir die Hand entgegen, aber mehr Zeit verschwendeten wir nicht für unnötige Begrüßungen oder andere Förmlichkeiten.
Kaum hatten wir uns gesetzt, begann ich zu sprechen. Minutiös rekapitulierte ich die Nacht mit Beigbeder, war darum bemüht, ja kein einziges Detail zu vergessen. Ich wiederholte getreulich jedes Wort aus seinem Mund, beschrieb exakt seine Verfassung, beantwortete Dutzende von Fragen und überreichte ihm die ungeöffneten Briefe für Rosalinda. Mein Bericht dauerte über eine Stunde. Konzentriert hörte er mir zu und rauchte unterdessen eine ganze Schachtel Craven A.
» Noch wissen wir nicht, welche Auswirkungen dieser Ministerwechsel für uns nach sich ziehen wird, doch unsere Lage ist alles andere als günstig«, erklärte er schließlich, als er die letzte Zigarette ausdrückte. » Wir haben London gerade erst informiert und noch keine Antwort, aber wir erwarten schon bald eine Reaktion. Ich bitte Sie, seien Sie äußerst vorsichtig und machen Sie ja keinen Fehler. Beigbeder in Ihre Wohnung zu lassen, war sehr unüberlegt. Ich verstehe, dass Sie ihn nicht abweisen konnten, und Sie haben gut daran getan, ihn zu beruhigen. Sonst hätte sein desolater Zustand ihn womöglich in noch größere Schwierigkeiten gebracht, doch das Risiko, das Sie eingegangen sind, war außerordentlich hoch. Seien Sie bitte von nun an besonders umsichtig und versuchen Sie, solche Situationen tunlichst zu meiden. Und achten Sie, vor allem in Ihrer unmittelbaren Umgebung, auf verdächtige Personen. Es kann gut sein, dass man Sie überwacht.«
» Ich werde Ihre Ratschläge befolgen, seien Sie unbesorgt.« Instinktiv fürchtete ich, dass er möglicherweise etwas von Ignacio und seiner Überwachung wusste, und wollte deshalb lieber nicht nachfragen.
» Von nun an wird alles noch komplizierter, das ist das Einzige, was man jetzt schon mit Sicherheit sagen kann«, fügte er hinzu und reichte mir dabei erneut die Hand, diesmal, um sich von mir zu verabschieden. » Jetzt, wo sie den unbequemen Minister vom Hals haben, wird vermutlich der Druck der Deutschen hier in Spanien deutlich steigen. Seien Sie auf der Hut und auf jede unvorhergesehene Möglichkeit vorbereitet.«
In den folgenden Monaten handelte ich den Anweisungen entsprechend: Ich versuchte, die Risiken klein zu halten, mich so wenig wie möglich in der Öffentlichkeit sehen zu lassen und mich mit Adleraugen auf meine Aufgaben zu konzentrieren, damit meiner Aufmerksamkeit nichts entging. Wir nähten weiter, viel, immer mehr. Die relative Beruhigung meiner Lage, die ich durch Doña Manuelas Einstellung erreicht hatte, währte nur einige Wochen: Die wachsende Kundschaft und das bevorstehende Weihnachtsfest zwangen mich, mich wieder hundertprozentig auf das Nähen zu verlegen. Doch zwischen den einzelnen Anproben ging ich meiner anderen, meiner geheimen Tätigkeit nach. Während ich die Seitennaht eines Cocktailkleides abänderte, erhielt ich Informationen über die Gäste, die zu einem Empfang in der deutschen Botschaft zu Ehren Himmlers, dem Chef der Gestapo, eingeladen waren. Und als ich für das neue Kostüm einer Baronin Maß nahm, erzählte diese mir, die gesamte deutsche Gemeinde würde gespannt darauf warten, dass der Berliner Koch Otto Horcher, der Liebling der Nazioberen, eine Zweigstelle seines Restaurants in Madrid eröffne. Über all das und noch viele andere Dinge informierte ich Hillgarth ganz exakt, indem ich das Material genau unter die Lupe nahm, mich um eine möglichst präzise Wortwahl bemühte, die Botschaften zwischen den angeblichen Nahtstichen versteckte und sie pünktlich ablieferte. Ich folgte seinen Anweisungen, war ständig auf der Hut und in Alarmbereitschaft. Dank dieser neuen Einstellung bemerkte ich in jenen Tagen, dass sich einige Dinge änderten, kleine Details, die vielleicht nur auf neue Umstände zurückzuführen oder lediglich purer Zufall waren. An einem x-beliebigen Samstag im Prado war der schweigsame kahlköpfige Mann nicht mehr da, der normalerweise meine Mappe mit den kodifizierten Schnittmustern entgegengenommen hatte. Ich sah ihn niemals wieder. Einige Wochen später wurde das Mädchen aus der Garderobe im Schönheits- und Friseursalon durch eine andere Frau ersetzt. Sie war älter, rundlicher,
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