Das Echo der Traeume
seinen Ausführungen bald zum Ende kommen würde.
» Ich weiß nicht, ob Ihnen überhaupt bewusst ist, wie überaus gefährdet und exponiert Sie sind«, fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu. » Arish Agoriuq erfreut sich unter den deutschen Damen, die in Madrid leben, einer großen Bekanntheit, aber sollte man an Ihrer Haltung zu zweifeln beginnen, wie es gestern leicht der Fall hätte sein können, dann kann Ihre Situation äußerst unangenehm werden. Und das wäre nicht gut für uns. Weder für Sie noch für uns.«
Ich stand auf und ging auf ein Fenster zu, wagte jedoch nicht, ihm zu nahe zu kommen. Mit dem Rücken zu Hillgarth sah ich hinaus. Die Äste der dicht belaubten Bäume reichten bis zum ersten Stockwerk. Noch hatten wir Licht, die Tage wurden schon länger. Ich bemühte mich, die Tragweite dessen zu erfassen, was ich gerade gehört hatte. Obwohl Hillgarth alles in den schwärzesten Farben ausgemalt hatte, empfand ich keine Angst.
» Es wird am besten sein, wenn ich nicht mehr für Sie arbeite«, meinte ich schließlich, ohne ihn anzusehen. » Das erspart uns Probleme, und wir würden alle ruhiger schlafen. Sie, ich, alle.«
» Auf keinen Fall!«, protestierte er energisch hinter meinem Rücken. » Was ich Ihnen gesagt habe, ist nur zur Vorbeugung und als Warnung für die Zukunft gedacht. Wir haben keine Zweifel, dass Sie sich im entsprechenden Moment angemessen verhalten werden. Doch wir möchten Sie auf keinen Fall verlieren, schon gar nicht jetzt, da wir Sie an einem neuen Einsatzort brauchen.«
» Wie bitte?«, fragte ich verblüfft und drehte mich um.
» Wir haben eine neue Aufgabe für Sie. Man hat uns direkt aus London um Hilfe gebeten. Anfänglich haben wir zwar andere Möglichkeiten erwogen, aber angesichts des Vorfalls an diesem Wochenende haben wir beschlossen, die Mission Ihnen zu übertragen. Glauben Sie, dass Ihre Gehilfin sich zwei Wochen allein um das Atelier kümmern kann?«
» Nun ja … ich weiß nicht … vielleicht …«, stammelte ich.
» Ganz bestimmt. Informieren Sie Ihre Kundinnen, dass Sie ein paar Tage fort sein werden.«
» Und was sage ich, wo ich sein werde?«
» Sie brauchen gar nicht zu lügen, sagen Sie einfach die Wahrheit: dass Sie in Lissabon einiges zu regeln haben.«
49
Mit dem Lusitania-Express kam ich an einem Morgen Mitte Mai auf dem Lissabonner Bahnhof Santa Apolónia an. Ich hatte zwei riesige Koffer dabei, in denen sich meine besten Kleider befanden, jede Menge präziser Anweisungen und eine unsichtbare Ladung Selbstsicherheit. Von ihr erhoffte ich mir, dass sie ausreichte, um mir aus kritischen Situationen charmant herauszuhelfen.
Ich war lange unschlüssig, bevor ich mich dazu durchrang, meinen Auftrag fortzuführen. Ich dachte nach, wog das Für und Wider ab, prüfte Alternativen. Ich wusste, letztlich lag die Entscheidung bei mir. Nur ich konnte beurteilen, ob ich weiterhin dieses verworrene Leben führen oder zurück zur Normalität wollte.
Letzteres wäre wahrscheinlich das Vernünftigste gewesen. Ich hatte es gründlich satt, alle Welt zu belügen, mit niemandem offen und ehrlich reden zu können, unangenehme Anweisungen befolgen und ständig auf der Hut sein zu müssen. Demnächst würde ich dreißig, ich hatte mich in eine Lügnerin ohne jeden Skrupel verwandelt, und meine persönliche Geschichte war eine Ansammlung von Heimlichtuereien, Lücken und Lügen. Und trotz des vermeintlichen Glamours, der meine Existenz umgab, war das Einzige, was am Ende von mir übrig blieb – und woran mich Ignacio ein paar Monate zuvor erinnert hatte –, ein einsames Gespenst in einer Wohnung voller Schatten. Nach dem Treffen mit Hillgarth stieg ein Gefühl von Feindseligkeit gegen ihn und seinen Geheimdienst in mir hoch. Sie hatten mich in ein unheilvolles Abenteuer verwickelt, das angeblich meinem Land zugutekam, doch nichts schien sich im Laufe der Monate geregelt zu haben, und die Angst, dass Spanien in den Krieg eintreten könnte, war noch immer allgegenwärtig. Aber trotzdem respektierte ich ihre Bedingungen, ohne mich von den Normen abbringen zu lassen: Sie zwangen mich, egoistisch und unsensibel zu werden, mich an ein irreales Madrid anzupassen und meinen Leuten, meinen Freunden und meiner Vergangenheit gegenüber illoyal zu sein. Ich hatte mich ängstlich und verloren gefühlt, schlaflose Nächte durchlebt und Stunden unendlicher Angst ausgestanden. Und nun verlangten sie auch noch, ich solle mich von meinem Vater fernhalten, dem einzigen
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