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Das Echo der Traeume

Das Echo der Traeume

Titel: Das Echo der Traeume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Duenas
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Menschen, dessen Gegenwart etwas Licht in meinen trüben Alltag brachte.
    Noch war Zeit, nein zu sagen, mich hinzustellen und zu rufen: Es reicht! Zum Teufel mit dem britischen Geheimdienst und seinen dämlichen Anforderungen. Zum Teufel mit dem ewigen Mithören bei den Anproben, mit dem lächerlichen Leben der Nazifrauen und den kodierten, in Schnittmustern verborgenen Nachrichten. Mir war es egal, wer gegen wen gewann in jenem fernen Krieg. Es war ihre Sache, ob die Deutschen in Großbritannien einmarschierten und zum Frühstück kleine Kinder aßen oder ob die Engländer mit ihren Bomben Berlin ausradierten. Das war nicht meine Welt: Sollten sie doch alle zum Teufel gehen!
    Ich würde einfach alles hinwerfen und zur Normalität zurückkehren. Ja, das war zweifellos die beste Lösung. Das Problem war nur, wo fand ich sie, die Normalität? Lag sie etwa auf der Calle de la Redondilla meiner Jugend, zwischen den Mädchen, mit denen ich aufgewachsen war und die nach dem verlorenen Krieg ums Überleben kämpften? Hatte Ignacio Montes sie an dem Tag mitgenommen, als er die Schreibmaschine packte und mit gebrochenem Herzen aus meinem Viertel verschwand? Oder hatte sie vielleicht Ramiro Arribas gestohlen, als er mich allein, schwanger und mittellos im Zimmer des Hotel Continental zurückließ? War Normalität das, was ich in den ersten Monaten in Tetuán, zwischen den traurigen Gästen aus Candelarias Pension, erlebt hatte, oder hatte sie sich mit den krummen Geschäften verflüchtigt, die Candelaria und ich gedreht hatten, um über die Runden zu kommen? Oder hatte ich sie in der Wohnung in der Calle Sidi Mandri gelassen, hing sie dort an Fäden im Atelier, das ich unter großen Mühen aufgebaut hatte? Oder vielleicht hatte sie sich auch Félix Aranda in jener Regennacht unter den Nagel gerissen oder Rosalinda Fox, als sie sich aus dem Lagerraum hinter Dean’s Bar davonstahl, um sich wie ein Schatten in den Straßen von Tanger zu verlieren? Oder war Normalität das Leben an der Seite meiner Mutter, das stille Arbeiten an den afrikanischen Nachmittagen? Hatte sie ein entlassener und unter Hausarrest stehender Minister zunichtegemacht? Oder hatte sie womöglich ein Journalist abgeschleppt, den ich mir aus reiner Feigheit nicht zu lieben erlaubte? Wo war sie hin, die Normalität, wann hatte ich sie verloren, was war aus ihr geworden? Ich suchte sie überall: in den Taschen, in den Schränken und in den Kisten. In den Falten und zwischen den Nähten. In jener Nacht schlief ich ein, ohne sie zu finden.
    Am nächsten Morgen erwachte ich mit einer anderen Klarheit, und kaum hatte ich die Augen halb geöffnet, nahm ich sie schon wahr: nah, ganz nah bei mir. Normalität fand sich nicht in jenen Tagen, die hinter mir lagen, sondern stets nur in dem, was uns das Schicksal tagtäglich brachte. Egal, ob in Marokko, Spanien oder Portugal, ob ich nun ein Modeatelier leitete oder für den britischen Geheimdienst arbeitete: An dem Ort, auf den ich zusteuere, oder auf dem Weg, den ich in meinem Leben einschlage, genau dort wird sie liegen, meine Normalität. Zwischen den Schatten, unter den Palmen eines Platzes, auf dem es nach Minze duftet, im Schein der von Kronleuchtern erhellten Säle oder in den vom Krieg aufgewühlten Gewässern. Die Normalität war nur das, was mein eigener Wille, mein Engagement, mein Wort als normal akzeptierten, und von daher war sie auch immer bei mir. Sie an einem anderen Ort suchen oder sie aus dem Gestern zurückgewinnen zu wollen, hatte keinen Sinn.
    An jenem Tag ging ich mit klaren Vorstellungen und freiem Kopf um die Mittagszeit ins Embassy. Ich vergewisserte mich, dass Hillgarth mit seinem Aperitif am Tresen stand, während er mit zwei Männern in Uniform plauderte. Dann ließ ich aufreizend meine Handtasche zu Boden fallen. Vier Stunden später erhielt ich die ersten Anweisungen für meinen neuen Auftrag, unter anderem hatte ich am nächsten Morgen eine Gesichtsbehandlung im Rosa Zavala, dem Schönheits- und Friseursalon, in den ich allwöchentlich ging. Fünf Tage später kam ich in Lissabon an.
    Ich entstieg dem Zug in einem Kleid aus bedrucktem Organza, weißen Frühlingshandschuhen und einem riesigen Damenstrohhut – ein Hauch von Glamour inmitten des Kohlenstaubs der Lokomotiven und der grauen Eile der Reisenden. Mich erwartete ein anonymes Automobil, das mich ans Ziel bringen würde: Estoril.
    Wir gondelten durch ein Lissabon voller Wind und Licht, ohne Rationierungen oder Stromsperren, mit

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