Das Echo der Traeume
Schon wenn ich sie nur berührte, konnte ich mir vorstellen, wie wunderbar die Kleider, die ich daraus nähen konnte, fallen würden.
» Entsprechen die Stoffe Ihren Erwartungen?«, ließ sich Manuel da Silva hinter meinem Rücken vernehmen.
Einige Augenblicke, vielleicht sogar einige Minuten hatte ich ihn und seine Welt vollkommen vergessen. Mich von der Schönheit, der Glätte der Stoffe überzeugen zu können und mir die fertigen Kleider daraus vorzustellen, hatte mich vorübergehend aus der Realität entführt. Zum Glück musste ich mich zu einem Lob der Qualität seiner Ware gar nicht überwinden, weil ich es ernst meinte.
» Sie übertreffen sie sogar noch, sie sind wunderschön.«
» Dann rate ich Ihnen, möglichst viele Meter davon mitzunehmen, denn man wird sie mir bald aus den Händen reißen, fürchte ich.«
» So groß ist die Nachfrage?«
» Davon gehe ich aus. Wenn auch nicht unbedingt für Mode.«
» Wofür dann?«, fragte ich überrascht.
» Für etwas, das momentan von größerer Wichtigkeit ist: für den Krieg.«
» Für den Krieg?«, wiederholte ich und tat ganz ungläubig. Dass es in anderen Ländern so war, wusste ich bereits von Hillgarth, der es mir damals in Tanger erzählt hatte.
» Man nimmt die Seide für Fallschirme, zum Schutz von Schießpulver und sogar für Fahrradreifen.«
Ich täuschte ein ungläubiges Lachen vor.
» Was für eine absurde Verschwendung! Aus der Seide, die man für einen Fallschirm benötigt, könnte man mindestens zehn Abendkleider schneidern!«
» Ja, aber wir leben in schwierigen Zeiten. Und die kriegführenden Länder werden bald bereit sein, jeden Preis dafür zu zahlen.«
» Und Sie, Manuel, wem werden Sie diese herrliche Seide verkaufen, den Deutschen oder den Engländern?«, hakte ich spöttisch nach, als würde ich nicht ernst nehmen, was er gesagt hatte. Ich war selbst überrascht von meiner Dreistigkeit, doch er ging auf meinen Ton ein.
» Wir Portugiesen haben alte Handelsbeziehungen mit den Engländern, obwohl man in diesen turbulenten Zeiten ja nie weiß …« Er beschloss seine beunruhigende Antwort mit einem Lachen, aber noch ehe ich etwas erwidern konnte, lenkte er das Gespräch auf näherliegende, praktische Aspekte. » Hier haben Sie eine Mappe mit detaillierten Informationen über alle Seiden: Referenznummern, Qualitäten, Preise, das Übliche eben«, meinte er, während er zu seinem Schreibtisch ging. » Nehmen Sie die Unterlagen mit ins Hotel, gehen Sie sie in Ruhe durch, und wenn Sie sich entschieden haben, füllen Sie den Bestellschein aus, und ich werde mich persönlich darum kümmern, dass Ihnen alles direkt nach Madrid geliefert wird, in weniger als einer Woche. Die Zahlung können Sie bei Erhalt der Ware vornehmen, machen Sie sich deswegen keine Gedanken. Und vergessen Sie nicht, von den angegebenen Preisen noch zwanzig Prozent Rabatt abzuziehen, ein Entgegenkommen des Hauses.«
» Aber …«
» Und hier«, fügte er hinzu, » noch eine Mappe mit Informationen über örtliche Lieferanten von Kurzwaren und anderen Dingen, die für Sie von Interesse sein könnten. Spinnereien, Posamentierer, Knopfmacher, Lederfabrikanten … Ich habe mir erlaubt, für Sie Termine zu machen. Hier habe ich alle eingetragen, sehen Sie: Heute Nachmittag erwartet man Sie bei den Gebrüdern Soares, sie haben die besten Nähgarne in ganz Portugal. Morgen, am Freitagvormittag, wird man Sie in der Firma Barbosa empfangen, dort stellen sie Knöpfe aus afrikanischem Elfenbein her. Am Samstagvormittag haben Sie einen Termin beim Kürschner Almeida und dann keinen mehr bis Montag. Aber bereiten Sie sich darauf vor, dass die nächste Woche wieder sehr voll werden wird.«
Ich sah mir das Blatt an, das voller Kästchen war, und bemühte mich, meine Bewunderung für diese ausgezeichnete Terminplanung nicht zu zeigen.
» Außer am Sonntag haben Sie mir auch am morgigen Freitagabend freigegeben«, entgegnete ich, ohne den Blick zu heben.
» Ich fürchte, Sie irren sich.«
» Ich glaube nicht. Sehen Sie, hier ist nichts eingetragen.«
» Das ist richtig, denn ich habe meine Sekretärin darum gebeten. Doch ich habe bereits etwas vorgesehen für diesen Termin. Wollen Sie morgen Abend mit mir essen gehen?«
Ich nahm die zweite Mappe an mich, die er noch in der Hand hielt, und erwiderte nichts. Ich zögerte die Antwort noch ein bisschen hinaus, indem ich darin blätterte: mehrere Seiten mit Namen, Daten und Zahlen, die ich interessiert zu studieren vorgab,
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