Das Echo der Traeume
damit man meine Unwissenheit für Arroganz hielt, meine Unsicherheit für charmante Trägheit. Meine Ängste würde ich, damit niemand sie auch nur erahnte, mit einem festen Schritt auf hochhackigen Schuhen und einem forschen Auftreten kaschieren. Als Erstes wollte ich mein äußeres Erscheinungsbild verändern. Durch die Unsicherheit der letzten Zeit, die Fehlgeburt und die langsame Genesung hatte ich mindestens sechs oder sieben Kilo abgenommen. Kummer und Krankenhausaufenthalt hatten mich die Rundheit meiner Hüften gekostet, etwas Oberweite, ein paar Zentimeter an den Oberschenkeln und jedes überflüssige Gramm Fett, das ich möglicherweise um die Taille herum gehabt hatte. Ich tat nichts dazu, wieder runder zu werden, vielmehr begann ich, mich mit meiner neuen Figur wohlzufühlen – wieder ein Schritt nach vorne. Ich besann mich darauf, wie sich manche Ausländerinnen in Tanger gekleidet hatten, und beschloss, meine bescheidene Garderobe nach diesem Vorbild umzuarbeiten. Mein Stil sollte weniger streng sein als der der anderen Spanierinnen, verführerischer, ohne anstößig oder provozierend zu wirken. Auffälligere Farben, leichtere Stoffe. Die Blusen etwas weiter aufgeknöpft, die Röcke etwas kürzer. Vor dem halb blinden Spiegel in Candelarias Zimmer machte ich mich immer wieder von Neuem zurecht, probierte und übte jenes schicke Übereinanderschlagen der Beine, das ich täglich zur Cocktailstunde auf den Terrassen der Bars und Cafés beobachtete, jenen eleganten, graziösen Gang, mit dem die Damen auf den breiten Bürgersteigen des Boulevard Pasteur flanierten, und die anmutige Haltung der frisch manikürten Finger, die eine französische Modezeitschrift, einen Gin-Fizz oder eine elfenbeinerne Zigarettenspitze mit einer türkischen Zigarette hielten.
Zum ersten Mal seit mehr als drei Monaten schenkte ich meinem Erscheinungsbild Aufmerksamkeit und stellte fest, dass es dringend aufpoliert werden musste. Eine Nachbarin zupfte mir die Augenbrauen, eine andere machte mir die Hände. Ich begann mich wieder zu schminken, nachdem ich mir monatelang nur das Gesicht gewaschen hatte. Ich kaufte mir Konturenstifte, um meinen Mund in Form zu bringen, und Lippenstifte, um ihn voller erscheinen zu lassen, verschiedene Farben für die Augenlider, Rouge für die Wangen, Eyeliner und Mascara für die Wimpern. Von Jamila ließ ich mir nach einer Fotografie in einer alten Vogue, die ich mitgebracht hatte, mit der Schneiderschere auf den Millimeter genau die Haare kürzen. Die dichte dunkle Haarpracht, die mir bis zur Hälfte des Rückens reichte, fiel büschelweise auf den Küchenboden, kraftlos wie die Flügel toter Raben, bis nur noch ein kinnlanger, glatter Bob übrig blieb, mit einem Seitenscheitel und der nicht zu bändigenden Neigung, über mein rechtes Auge zu fallen. Zum Teufel mit der Mähne, die Ramiro so fasziniert hatte. Ich konnte nicht sagen, ob die neue Frisur mir stand oder nicht, aber ich fühlte mich damit frischer, freier. Rundherum erneuert waren jene Nachmittage unter den Flügeln des Ventilators in unserem Zimmer im Hotel Continental nur noch eine ferne Erinnerung, ebenso jene endlosen Stunden, in denen mich nichts bedeckte als sein Körper, mit dem meinen verflochten, meine langen Haare wie ein Umschlagtuch auf dem Bettlaken ausgebreitet.
Candelarias Pläne wurden bereits wenige Tage später Realität. Zunächst fand sie im spanischen Viertel drei Objekte, die sofort zu mieten waren. Zu allen dreien erläuterte sie mir die Einzelheiten, dann prüften wir gemeinsam die jeweiligen Vor- und Nachteile, und schließlich trafen wir unsere Entscheidung.
Die erste Wohnung, von der Candelaria mir erzählte, erschien anfangs ideal: geräumig, modern, Erstbezug, nahe der Post und dem Teatro Español gelegen. » Es gibt sogar eine bewegliche Dusche, die ausschaut wie ein Telefon, meine Kleine, nur dass von dort, wo du normalerweise die Stimme desjenigen hörst, der mit dir spricht, ein Wasserstrahl herauskommt, den du wohin auch immer richten kannst«, erklärte mir die Schmugglerin mit ehrfürchtigem Staunen angesichts dieses Wunderwerks der Technik. Wir entschieden uns dennoch dagegen. Das Haus grenzte nämlich an ein noch unbebautes Grundstück, auf dem Müll jeglicher Art lagerte und magere Katzen herumstreunten. Das spanische Viertel wuchs, doch hier und da gab es noch brachliegende Flächen. Dieser Umstand, dachten wir, mache auf die feinen Damen, die wir als Kundinnen gewinnen wollten, vielleicht
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